Tod auf der Wallau

Die letzten Tage vor dem Aufbruch mit der Karawane zogen sich schier endlos in die Länge, was daran liegen mag, dass es mehr als einen Monat dauern sollte, bis die Runde wieder zusammentreffen konnte, nicht zuletzt wegen eines Schneechaos in der wirklichen Welt. So ging, als dann alles wieder beisammensaß – minus Thorn, dessen Spieler verhindert war – dann doch nochmal einiges an Zeit mit den letzten Reisevorbereitungen drauf, auch wenn das schon im Dezember in aller Ausführlichkeit ausgespielt worden war. So schrie Evy noch ein Lied über die Abenteuer der Gruppe, das sogar ausgesprochen gut ausfiel. Die Helden holten auch ihre inzwischen fertig verzauberten magischen Waffen ab und fühlten sich gleich schon viel gefährlicher.

Am Tag vor dem Aufbruch geschah dann noch etwas Neues: Als die Gruppe beim Mittagessen im Gildenhaus zusammensaß, trat Talathel, der Elf, an ihren Tisch und fragte, ob er sich dazusetzen dürfte, was ihm gestattet wurde – dann bat er darum, sich für die Dauer der Flussfahrt der Gruppe anschließen zu dürfen. Schließlich wollte er auch in Richtung Südwacht reisen, und die Passage auf dem Kahn hätte ihn ein ganzes Goldstück gekostet – ein Argument, das die Gefährten vordergründig akzeptierten und ihm erlaubten, mitzukommen, doch zu sagen, dass sie den Neuankömmling mit offenen Armen willkommen geheißen hätten, wäre zu viel gesagt.

Kerym’tal reagierte verschnupft, als ihn Talathel als »Menschelf« bezeichnete, und fürchtete, dass der sicherlich erfahrene Kämpfer ihnen keine Heldentaten mehr übriglassen würde – schließlich war der Elfenelf gut über hundert Jahre alt und hatte damit viel Zeit gehabt, Erfahrungsstufen anzuhäufen. Erst nach Talathels Versicherung, dass noch genug für die anderen übrigbleiben würden und die Aufgaben als Karawanenwache auch bedeuteten, der Crew bei den sonstigen anfallenden Arbeiten zur Hand zu gehen (nein, niemand hatte das Kleingedruckte der Ausschreibung gelesen), stimmten die anderen zu, dass noch ein paar Hände vielleicht gar nicht so schlecht sein würden.

Doch als Talathel wieder fort war, ging das große Fragen los. Urorn hatte den Verdacht, dass Talathel noch andere Gründe haben könnte, als nur ein Goldstück sparen zu wollen, und Evy kam der Verdacht, dass der Elf von der Gilde auf die Gefährten angesetzt worden war, um sich ihre Vorgehensweise aus der Nähe anzuschauen, woraufhin Meraid gleich Talathels Zimmer durchsuchen wollte. Nur Kerym’tals Einwand, dass sie ihre Zimmer in der Gilde verlieren konnten, wenn sie in den anderen rumschnüffelten, und dass sie ja auch nicht wollten, dass sich jemand an ihren eigenen Sachen vergreifen würde – nicht, dass sie viel besaßen, aber das konnte ja alles noch kommen. Aber die Gefährten waren sich einig, ein Auge auf Talathel halten zu wollen.

Was die Zimmer in der Gilde anging, stellte sich allerdings heraus, dass Talathel kein eigenes besaß – er war in einem der Gästezimmer untergebracht. Hätte man das jetzt besser doch noch durchsuchen sollen? Dafür war es jetzt zu spät. Der Tag des Aufbruchs war gekommen. Sie sprachen mit Talathel ab, wo der Treffpunkt mit dem Karawanenleiter ausgemacht war, und begaben sich dann pünktlich in der Morgenfrühe zum südlichen Hafen. Dort wartete bereits in breiter, langer Holzkahn, beladen mit Versorgungsmaterialien für die Holzfäller von Südwacht, und mit ihm Karawanenführer Aldwig. Mehrere starke Ochsen standen bereit, um den namenlosen Kahn die Wallau flussaufwärts zu treideln.

Die Gefährten teilten sich auf: Evy blieb an Bord, um oben vom Kabinendach – wo sich auch die Ruderpinne befand – nach Gefahren Ausschau zu halten, während Kerym’tal, Urorn und Meraid auf ihren Pferden neben dem Kahn herritten, um Gegner von der Landseite abwehren zu können. Thorn, den in Abwesenheit seines Spielers ein Unwohlsein plagte, blieb unter Deck in einer Kabine – und er war nicht der Einzige, der das tat. Neben sieben Mann Besatzung hatte der Kahn nämlich noch diverse Passagiere an Bord: Da waren eine reichgekleidete Frau in Begleitung ihrer Zofe, Mare; Handwerker Wigmund, der mit einer Kiste voller Werkzeuge reiste und in Südwacht für die Konstruktion eines Steinhauses gebraucht wurde; Cere, eine in Leder gekleidete Abenteuerin, die aber in einer Kabine reiste und auch keine Anstalten machte, sich an den Arbeiten an Bord zu beteiligen und die, von einem einfachen Dolch abgesehen, keinerlei sichtbare Waffen trug.

Die Spieler schauten einander an, als die Liste der Namen aufgezählt wurde: war da gerade die Bühne hergerichtet wurden für das Murder Mystery »Tod auf der Wallau»? Die Worte »Der Mörder ist unter uns« lagen schon auf den Lippen – aber, weil Kerym’tal sich so sehr nach einem Kampf sehnte, hofften sie doch mehr auf eine Räuberbande. Ganz spezifisch: eine mit vielen Reichtümern ausgestattete Räuberbande, die sich schon an einer anderen Reisegruppe vergriffen hatte und der nun ihre Gier zum Verhängnis werden sollte, wenn sie sich mit unseren Gefährten anlegten, die danach nicht nur um Erfahrungspunkte, sondern auch gewaltigen Schätzen reich sein sollten – aber der Spielleiter, statt sich zu freuen, dass ihm da jemand die Plotarbeit abgenommen hatte, lächelte nur leise in seinen Bart. Er hatte andere Pläne für diese Flussfahrt.

Aber erst einmal ging es ereignislos los. Die Gruppe freundete sich ein bisschen mit den Ochsenknechten an – und Kerym’tal fragte deren Anführer Uwe ganz beiläufig, ob die Karawane denn oft überfallen wurde. Das verneinte Uwe – aber weil die Fracht ihren Preis hatte, heuerten die Kaufleute, von denen diese Waren stammten, doch lieber jedes Mal ein paar dedizierte wachen an, sicher ist sicher. Und so verliefen die ersten Tage der Reise dann auch entsprechend entspannend – bis sie in den Wald kamen. Das waren nicht mehr nur ein paar Bäume links und rechts – dies waren die Ausläufer des dichten Waldes, der später in das Erhabene Königreich Fallonde übergehen sollte. Einmal im Wald, mussten sie mit dem Schlimmsten rechnen: Räubern, Vogelfreien, Goblinbanden und wilden Tieren.

Ein alter Konflikt zwischen dem damaligen Königreich von Crimor und Fallonde hatte mit einem Vertrag geendet, nach dem die Menschen eine Wochenreise in den Wald hineindurften, um dort Bäume zu fällen – alles, was dahinter kam, war Elfenland, und auch die Gefährten, trotz zweier Halbelfen in der Gruppe, würden da nicht so einfach reinmarschieren können, um Terinav-Wurzeln zu sammeln: sie mussten sich in Südwacht beim elfischen Außenposten eine Genehmigung besorgen. Aber dafür mussten sie überhaupt erst einmal in Südwacht ankommen. Und dieser Wald war schon ziemlich dicht und bedrohlich. Der Städter Kerym’tal versuchte, das Erbe seiner elfischen Vorfahren zu erwecken, um sich im Wald wohler zu fühlen, und scheiterte. Auch Evy aus den Bunten Hügeln und Steppensohn Urorn fühlten sich beklommen – einzig Waldläuferin Meraid hatte solche Wälder schon zu Genüge gesehen und hatte nichts zu befürchten.

Vor allem nachts wurde es gruselig. Und da war es ein schwacher Trost, dass alle Gefährten immerhin mindestens über Dämmersicht, wenn nicht gleich Dunkelsicht verfügten: Allein die Geräusche der Nacht, des Waldes und des Flusses, waren gewöhnungsbedürftig unheimlich. So hielten sich in Doppelschichten Wache, immer einer an Bord des Kahns, der andere am Ufer, um gegen Gefahren von der Wasser- wie der Landseite gewappnet zu sein. Es war die Nacht des zweiten Tages, nachdem sie den Wald erreicht hatten, als Kerym’tal von Backbord ein lautes Platschen hörte. Er spähte über Bord und sah eine humanoide Figur, die sich unter Wasser dem Boot näherte, und dahinter weitere schwimmende Gestalten. Sofort schlug er Alarm und machte seine Waffen bereit, um den Kahn, seine Fracht und die Menschen darauf zu verteidigen.

Womit hatte Kerym’tal gerechnet? Als sich die ersten der nächtlichen Besucher daran machten, die Bordwand hochzuklettern, sah er, dass es sich nicht um Menschen handelte. Mit großen, glupschigen Augen und scharfzahnbewährten Karpfenmäulern sahen die Fischmenschen aus wie Murlocs – tatsächlich handelte es sich um Skum, aber die Bezeichnung Morlock war es, die bei den Spielern der Gruppe hängenblieb. Und egal, wie die Viecher hießen: Sie waren gerade dabei, an Bord zu klettern, mit sicherlich finsteren Absichten, und Kerym’tal war allein an Bord. Talathel, mit dem er sich die Wache teilte, war an Land, und Evy, Meraid und Urorn rasteten ebenfalls dort. Immerhin waren Evy und Meraid schnell kampfbereit; Urorn musste sich erst noch das Kettenhemd überwerfen, was ihn ein paar Runden Zeit kostete.

Mit seinen Kurzschwertern wehrte Kerym’tal zwei der Angreifer ab, die blutend ins Wasser stürzten, aber immer mehr Fischmenschen tauchten über der Reling auf. Der Halbelf warf, während seine Gefährten angestürmt kamen, seine Barbarenwut an. Meraid und Evy, die noch ein bisschen entfernt waren, schossen auf die Eindringlinge, und trafen auf, während Kerym’tal seinen verifizierten kritischen Treffer mit einem Einserpasch krönte – im Vergleich dazu machten die anderen mehr Schaden an den mit garstigen Klauen bewehrten Murloc-Skum.

Dann zeigten die Gefährten, was sie beim letzten Mal über Kampftaktik gelernt hatten. Meraid und Evy nahmen einen Gegner in die Zange, damit Meraid ihren hinterhältigen Angriff benutzen konnte, und sie traf auch prompt. Kerym’tal nahm es allein mit zwei Murlocs auf, er fühlte sich am wohlsten, wenn er mehrere Gegner um sich herum hatte, und steckte gleich einen kritischen Treffer ein – aber Trefferpunkte hatte er ja zu Genüge, so dass er da erstmal nicht viel zu fürchten hatte. Nur ein Kratzer! Und er selbst teilte auch wirklich anständig aus. Was so eine Waffenverzauberung doch gleich ausmachte!

Bald waren dann auch Urorn und Talathel zu ihren gestoßen – erst einmal mit geringem Erfolg. Urorn schlug mit dem Falchion daneben, während Talathel mit einem verifizierten Patzer gleich sein Schwert fallenließ – Zeit genug für Kerym’tal, den nächsten Murloc zu töten und sich dem übernächsten zuzuwenden. Aber es waren wirklich sehr viele Murlocs, und von den übrigen Menschen, die mit dem Boot reisten, machte trotz sicher deutlichem Kampflärm niemand Anstalten, den Verteidigern zur Hilfe zu kommen – noch nicht einmal die so wehrhaft scheinende Cere …

Ein Schiff, mehrere Murlocs und tapfere Helden – sieht man doch!

Um sich einen Überblick zu verschaffen und herauszufinden, was das für Geräusche am Bug des Bootes waren, kletterte Evy auf das Dach der Kabine, stimmte von da, wo jeder sie auch gut hören konnte, ihr Lied des Mutes an – und sah sich einem besonders großen Murloc gegenüber, der sich da gerade über die Reling wälzte. Der Murloc rief etwas in einer Sprache, die keiner verstand, der nicht selbst ein Fischmensch war: Evy sang kurzerhand lauter, um das Ganze zu übertönen, und griff todesmutig an. Von unten aus der Kabine ertönte ein gellender Schrei, den alle als die Stimme von Mere, der Zofe der reichen Frau, identifizierten. War das ihr Todesschrei? Oder hatte sie gerade den Tod ihrer Herrin mitansehen müssen? Da war er, der Tod auf der Wallau – das, und der Tod von noch einem Murloc, der Kerym’tals Klingen zum Opfer fiel.

Da half es auch nicht, dass drei Fischmenschen den Barbaren umzingelten: Seine Rage hatte ihn zu einem schlecht zu treffenden schlüpfrigen Scheißerchen gemacht, und nur einer der drei traf. Auch Urorn mit seinem Falchion und dem auf ein Kurzschwert gewechselt habenden Talathel winkte nun das Trefferglück. Nach heftigen Verlusten machten sich die Murlocs an den Rückzug – oder war das, weil sie hatten, wofür sie gekommen waren? Ehe er über Bord sprang, wandte sich der Obermurloc an die Anwesenden und sagte in gebrochenem Gemeinsprech:  »Wenn ihr uns folgt, fressen wir sie!« Dann verschwand auch er in den nächtlich schwarzen Fluten. Lautes Platschen verriet, dass auch die Skums aus der Kabine, offenbar mit menschlicher Fracht, das Weite suchten.

Und da sind wir nun. Es ist Nacht, der Kampf ist vorbei, aber Meraid ist halbtot, Kerym’tal immerhin zu einem Viertel, und die Fischmenschen sind zwar abgewehrt worden, aber nicht, ohne Beute gemacht zu haben. Wie geht es weiter? Das wird sich beim nächsten Mal zeigen …

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