Beim gemeinsamen Mittagsmahl tauchte auch die vorher in die Bibliothek geflüchtete Irindil wieder auf, denn dieses Schauspiel wollte sich niemand entgehen lassen: Isdarion, der seine Goldene Insel noch nie verlassen hatte, neugierig und aufgeschlossen für die kulturellen Eigenheiten seiner Gastgeber, wollte ein legendäres zwergisches Getränk probieren, von dem er schon viel gehört hatte: Das sogenannte »Bier«. Und so bestellte er es auch, ehrfürchtig und furchtlos vor dem großen Unbekannten.
Er bekam das Beste, was der wirt zu bieten hatte: Echtes zwergisches Pilzbier, wie es eigentlich für alle, die kein Zwerg sind, als ungenießbar gilt. Die leichte metallische Note im Abgang geht auf den Arsengehalt des Getränks zurück, und nur Isdarions gelungenem Rettungswurf und seiner offenbar stabilen Konstitution war zu verdanken, dass er keine ernsthaften Schäden davontrug. So freute sich Isdarion über die neue kulturelle Erfahrung, die aber nicht wiederholt werden musste.
Danach gingen sie gemeinsam zum Toraktempel. Dort waren zwei zwergische und ein menschlicher Kleriker ins Gespräch vertieft und am Schmieden. Die Gruppe sprach den nächsten Zwerg an und stellte sich vor. Was hatte es jetzt auf sich mit der verschwundenen Klerikerin? Die Augen des Zwergs leuchteten auf. Der Name der Vermissten lautete Serena, sie wollte in Richtung der Hafenstadt gehen und sollte unterwegs dem Bautrupp ein paar Tränke vorbeibringen – aber da kam sie niemals an. Eine Personenbeschreibung bekamen die Gefährten obendrein: Sie suchten also nach einer stämmigen mittelgroßen Menschenfrau mit auffällig blauen Augen. Serena war offenbar wegen einer Prophezeiung in der Gegend, und ach ja, ihren Schal hatte sie auch liegenlassen. Das traf sich gut, denn damit sollte Irindils Wolfsgefährte die Witterung der Frau aufnehmen können.
Und das elfische Heiligtum? Das wiederzuerrichten passte dem Torak-Kleriker gar nicht so recht in den Plan. An den Schätzen, die man dort finden konnte, war er natürlich sehr interessiert, aber mit der alten elfischen Gottheit Corellon Larethian hatte er es als braver Anhänger des Torak natürlich nicht. Aber er versprach, sich das einmal aus der Nähe anzusehen. Was er auch gern aus der Nähe sehen wollte, war Isdarions Schwert – da kam das professionelle Interesse des Schmieds durch. Doch als er zur Feile griff, um eine Materialprobe zu nehmen, hatte Isdarion es ganz eilig, das Angebot, sich die Waffe einmal anzuschauen, wieder zurückzuziehen: Keine spanabhebenden Verfahren mit dem Schlafenden Schwert!
Danach gelang es der Gruppe endlich, den Torak-Kleriker für das Ritual zur Versiegelung der Unterwelt zu interessieren. Das ließ sich tatsächlich wohl auch in Toraks Namen machen – aber ohne eine genaue Beschreibung des Rituals war da wenig zu machen. So sollten sie zurückkommen, wenn sie mehr darüber wussten. Aber erst einmal war es Zeit, aufzubrechen. Die Gruppe dankte dem Kleriker, und Irindil holte ihren Wolf aus den Stallungen, damit der Serenas Fährte aufnehmen konnte.
Anen, so hieß das treue Tier, konnte tatsächlich die Witterung aufnehmen und der verschwundenen Klerikerin folgen. Zwei Tage lang bewegte sich die Gruppe entlang der Straße, die auch zum Bautrupp führte, bis der Wolf meinte, man könnte mal nach rechts in Richtung der Hügel abbiegen, und weil ein Wolf im Zweifelsfall recht hat, machten sie das dann auch. Irindil fand Spuren, die zu einer Gruppe eher kleiner Kreaturen zu stammen schienen. Kurz darauf konnten alle, zumindest alle mit guten Ohren, Stimmen hören. Fiepsige Stimmen, die Drakonisch sprachen: Das klang nach Kobolden. Sie gaben, für alle, die Drakonisch verstanden, jemandem eine Wegbeschreibung.
Cyne schlich sich, gefolgt von Irindil, näher heran – so fanden sie ein sternverziertes Zelt und eine Frau, die zu Serenas Beschreibung passte im Gespräch mit sechs Kobolden. In Gefahr schien sie nicht zu schweben, musste nicht vor den Kobolden beschützt werden, und dann konnten die Gefährten auch einfach hingehen und sich vorstellen. Aber bevor es dazu kommen konnte, wurden sie auch schon von der Klerikerin begrüßt, die schon auf die Gruppe gewartet hatte. Genauer: auf eine fünfköpfige Gruppe – die vier bekannten Gesichter und ein blinder elfischer Kleriker.
Dass sich letzterer als Stein herausstellte, das überraschte Serena dann doch. Mit allem anderen hatte sie gerechnet, nachdem sie eine Vision von der Göttin Desna persönlich bekommen hatte, dass sie diesen Personen helfen sollte. Ungefragt verwies sie auf einen versunkenen Tempel in der Nähe: Dort sollte es eine Statue des Corellon Larethian geben, mit der Curanduil zumindest sein Augenlicht zurückerlangen sollte. Wie viel dem das nützen sollte, wenn er seine Tage üblicherweise in der Tiefe von Isdarions Tasche verbrachte, sei einmal dahingestellt, aber es war immerhin schon mal ein Anfang, den verwunschenen Elfen wieder körperlich zu machen. Ein heiliges Symbol des Corellon, das dafür auch nötig war, würde sich in dem Tempel ebenfalls finden lassen.
Der polyglotte Cyne unterhielt sich mit den Kobolden auf Drakonisch. Sie wohnten in diesem Tempel und waren auch bereit, die Gefährten dorthin zu führen unter der Voraussetzung, dass die Großlinge sie in Ruhe lassen. Nach kurzer Klärung, wie weit es wohl wäre, folgten die Gefährten den Kobolden zu einem Höhleneingang. Da mussten sie sechs erst noch ihrem Anführer Bescheid geben, dass sie Besuch mitgebracht hatten. Der kam und stellte sich als Rakatuk vor, und was für ein Glück! Er beherrschte tatsächlich die Gemeinsprache, eine Erleichterung für alle, die nicht des Drakonischen mächtig waren. Mehr noch: Er meinte, die Sternenfrau habe schon bezahlt, damit die Gruppe freies Geleit durch das Höhlensystem bekommen sollte.
Sie folgten ihm zu dem Ort, wo sie ihr Nachtlager aufschlagen sollten: Ein Dorf aus Zweighütten, in seiner Mitte ein prachtvoll verzierter Stuhl, der wohl Rakatuk gehörte. Dahinter ging es tiefer in die höhe hinein. Rakatuk wies den Gefährten einen Schlafplatz zu und bot ihnen etwas zu essen an, aber nur der kulturell aufgeschlossene Isdarion wagte es auch, das Angebot anzunehmen. Es gab einen scharf abgeschmeckten, aber durchaus wohlschmeckeden Eintopf aus Riesenratte und Kaninchen, zum Nachtisch fritierte Rattenfüße – nur den psychotropen Tee hätte Isdarion vielleicht besser weggelassen.
So fing er an, Farben zu sehen, und sein Schwert begann zu ihm zu sprechen. Drei junge, offenbar des Elfischen mächtige Kobolde, lauschten andächtig Isdarions Weisheiten und schrieben fleißig mit, während der Rest der Gefährten versuchte, den sinnlos brabbelnden Elfen geflissentlich zu ignorieren. Cyne unterhielt sich lieber mit Rakatuk, um in Erfahrung zu bringen, mit welchen Gefahren sie in der Höhle würden rechnen müssen. So erfuhr er von dem rivalisierenden Koboldstamm, angeführt von Theranuk und »den Dunklen«, mit denen Rakatuks Leute im Clinch lagen. Außerdem gab es diverse Wesen, die Rakatuk aber nicht so genau beschreiben konnte. Und Riesen! Und Fallen! Und komische Lichter! Und Stellen, wo es heult … Am Ende konnte Cyne Rakatuk davon überzeugen, ihm einen Plan des ihm bekannten Teils der Höhle aufzumalen – vom Kobold mit dem Finger in den Staub gemalt, was Cyne dann in sein Notizbuch übertragen konnte.
Am anderen Morgen klagte Isdarion über Kopfschmerzen und Durst, aber er war immerhin wieder einsatzbereit – trotzdem, vielleicht sollte er in Zukunft eine andere Möglichkeit suchen, kulturelle Erfahrungen zu sammeln, als sich immer auf für Elfen giftige kulinarische Spezialitäten zu stürzen: Das kann irgendwann nach hinten losgehen … So aber brach die Gruppe in den Dungeon auf. Die erste Tür, die sie fanden, hing völlig verzogen in ihrem Rahmen, und die Tür zu der Höhle, in der laut Rakatuk der Riese leben sollte, rührte sich auch nicht. Aber den Gang zur Rechten nehmen konnten sie auch nicht, der war nämlich eingestürzt. Das ging ja gut los mit dem Versunkenen Tempel! Die Helden standen am Eingang und kamen nicht viel weiter.
Bei der ersten Tür, der verzogenen, rechneten sie sich noch die größten Chancen auf. Cyne suchte nach Fallen, fand keine und setzte sein Brecheisen an – aber die Falle fand ihn. Ein Eisbolzen schlug ihm direkt in die Brust und kostete ihn auf einen Schlag drei Viertel seiner Lebenskraft. Großes Upps. Irindil verband seine Wunden, und einen der kostbaren Heiltränke, mit denen sich die Gruppe ausgerüstet hatte, nahm er außerdem, um wieder auf die Beine zu kommen.
Viele Versuche mit dem Brecheisen später ging die Tür dann auch auf. Dahinter lag ein wirklich hübsch anzusehender Raum, dessen Boden mit perfekten schwarzen und weißen Sechsecken ausgelegt war. Irindil sah keine Magie, Cyne keine Fallen – und diesmal hatte er auch offenbar recht damit. Eine Wand war verziert mit einem unfertigen Gemälde – Koboldkunst, dem Anschein nach. Ansonsten war der Raum leer.
Eine Tür zur Linken hatte ein Schlüsselloch, durch das man hindurchspähen konnte. Dahinter konnte man den Riesen dösen sehen – tatsächlich handelte es sich um einen Oger, ein größerer Riese hätte es in dem Höhlensystem wahrscheinlich auch schwer gehabt. Aber ein Oger versprach einen großen Kampf. Und den, so beschlossen es die Gefährten mit Blick auf die Uhr, wollten sie sich im neuen Jahr gönnen.