Grand Theft Planwagen

Innerhalb der nächsten Tage auf der Straße von Lastow nach Castow kamen die vier Reisenden immer wieder miteinander ins Gespräch – was sich so ergibt, wenn man die gleiche Strecke hat und immer in den gleichen abadargefälligen Wegstationen absteigt – und irgendwann haben es die vier dann auch wohl geschafft, sich einander mit Namen vorzustellen, denn ab einem gewissen Punkt wurde vorausgesetzt, dass die offenbar bekannt waren. Meraid brauchte ein bisschen, um Evy und Urorn ins Vertrauen zu ziehen, und Kerym’tal hielt dicht, wo es um fremderleuts Geheimnisse ging, aber in Wegstation Fünf (von sieben) angekommen, weihte sie die beiden anderen dann doch in die Jagd nach dem gestohlenenen Wagen ein.

Wobei – eine Jagd war es ja nicht. Das requirierte Gefährt zuckelte mit gemächlicher Geschwindigkeit die Straße entlang und wurde jeden Tag aufs Neue überholt, nur um dann nachts, schwer bewacht, draußen vor der Wegstation zu stehen. Aber der Zauber, der auf dem Gefährt lag, und die aufmerksamen Wachen mit ihrem Anführer Derek verhinderten, dass Meraid den Wagen einfach so wieder an sich nehmen konnte. Aber was auf der Landstraße kein Problem war, wo es praktisch nur die eine Richtung gab, versprach eins zu werden, wenn man erst die Stadt erreicht hatte: Wie wollten sie dann noch dem Wagen durch die verwinkelten Gassen folgen, ohne aufzufallen? Und wollten sie überhaupt so lange warten?

Meraid fasste sich also ein Herz und bat bei Bardin und Kleriker um Hilfe. Immerhin waren die beide magisch aktiv und vielleicht in der Lage, den Zauber vom Wagen zu nehmen? Aber beide mussten bedauern. So ist das mit Anfängercharkteren: Sie hätten der Waldläuferin nur ein bisschen mit den Rettungswürfen helfen können, wenn die den Fallenzauber das nächste Mal auslöste. Und weil das beim ersten Mal doch arg wehgetan hatte, und weil sie da den Rettungswurf ziemlich weit verfehlt hatte, entschied sich Meraid gegen dieses Angebot. Aber, wo sie schon mal zu viert waren – warum nicht gleich den Wagen zurückstehlen?

Während Derek und seine Wachen nichtsahnend am Nachbartisch saßen, wurden flüsternd Pläne geschmiedet. Und wieder verworfen. Kerym’tals Vorschlag, die Wachen einfach abzustechen, stieß gleich auf wenig Gegenliebe. Länger diskutiert wurde die Option, das Pferd mit dem Wagen durchgehen zu lassen und abzufangen, während die Wachen noch zu Fuß versuchten, hinterzuerkommen – zurecht warf Urorn ein, dass ein durchgegangenes Pferd, wenn es gleichzeitig einen Wagen ziehen muss, so schnell auch wieder nicht ist. Und dann fiel den frischgebackenen Gefährten auf, dass die Wachen ja selbst beritten waren. Also war auch dieser vielversprechenden Plan zum Scheitern verdammt.

Nächster Ansatz: Die Wachen von ihren Pferden trennen. Nachts, im Gasthaus, alle Pferde scheu machen, damit sie davonrennen. Allerdings meinten die Pferdekenner innerhalb der Gruppe, dass die Pferde dann wohl ziemlich schnell wieder zurückkommen würden. Und damit nur ein zu kurzfristiger Vorsprung erreicht werden könnte. Kerym’tals Vorschlag, die Pferde lahm zu machen, indem man ihnen zum Beispiel die Beinsehnen durchtrennte, stieß auf noch größere Ablehnung als das Töten der Wachen – hier hatten die anderen ihre Prioritäten klar im Blick, und das Wohlergehen eines Tieres zählt eindeutig mehr als ein Menschenleben. So kam auch hier kein Plan zustande.

Dritter Ansatz: Die Wachen abfüllen. Schließlich hatten sie einen Cayden Cailean-Kleriker dabei, und gab es einen gottgefälligeren Ansatz für diesen Plan? Dafür sorgen, dass die Bierkrüge der Wachen immer gut gefüllt sind – und diesmal schaffte es auch ein Vorschlag von Kerym’tal zur Spruchreife, allerdings beinhaltete der diesmal keine nackte Gewalt, sondern sah nur vor, zusätzlich in jedem Bier ein, zwei Schnäpse zu versenken, damit die Wachen noch mehr tranken, als ihnen bewusst war. Und dann, wenn alles betrunken ist, den Wagen anschirren, alle die Pferde mitnehmen, und das Weite suchen. Sogar den weiteren Verbleib der Pferde – für deren Diebstahl sie ja nicht zur Rechenschaft gezogen werden wollten – planten sie schon ein: Meraid kannte eine Weide in der Nähe der Strecke, wo man die Tiere problemlos würde aussetzen können. Und den Wachen wollten sie außerdem alles Geld stehlen, damit die sich keine neuen Pferde würden leihen können – Urorn schaute ein bisschen bedröppelt, als er fragte, ob sich jemand auf solche Fingerfertigkeit verstünde und gleich drei Hände in die Luft gingen. Also, der Plan stand. Zeit, ihn in die Tat umzusetzen.

Mit etwas Überredungskunst und etwas mehr Geld war der Wirt der Wegstation Sechs bereit, den Bier-und-Schnaps-Teil des Planes in die Tat umzusetzen. Dann hieß es Bühne frei für Evy, die den Gästen der Gaststätte mit den zünftigsten Trinkliedern aus ihrem Repertoire aufspielte und es sicherlich mit den erfolgreichsten Ballermann-Barden aufnehmen konnte. Die Wachen, allerdings, langten nicht alle so tüchtig zu, wie die vier Gefährten das eingeplant hatten: Hauptmann Derek blieb vergleichsweise nüchtern, zwei andere ebenfalls, und so musste ein Plan B her, wie man im Zweifelsfall eine noch stehende Wache ausschalten könnte: Einfach niederschlagen. Und das kam noch nicht einmal von Kerym’tal.

Als der Abend sich dem Ende neigte, machten sich die vier ans Werk. Während Evy sich immer noch die Seele aus dem Leib sang, begaben sich Meraid, Kerym’tal und Urorn mehr oder weniger unauffällig nach draußen – Urorn eher auffällig, denn er trug drei Krüge Bier mit Schuss mit sich, um damit den beiden Wachen draußen ein Betthupferl mitzubringen, während die beiden Halbelfen sich im Stall daran machten, alle Reittiere bereitzumachen. Schließlich galt es, nicht weniger als sechs Pferde zu stehlen, und die eigenen Tiere sollten schließlich auch bereit sein. Dann fiel ihnen aber ein, dass sie ja auch noch das Geld der Wachen an sich nehmen wollten – und Meraid eilte in die Gaststube zurück, wo sie, zum Leidwesen von Evy, die eigentlich endlich zum Ende kommen wollte, die nächsten zwanzig Minuten damit verbrachte, immer wieder unauffällig am Tisch der Wachen vorbeizulaufen und nach und nach alle Geldbörsen an sich zu nehmen. Evys »nur noch vier« Lieder wurden dann entsprechend länger.

Während Kerym’tal also die Reittiere bereitmachte – bis auf ein Pferd, das ihn so garstig anknurrte, dass er lieber einen Bogen darum machte – verteilte Urorn sein Bier an die Wagenwachen. Der eine war dabei schon weit jenseits von Gut und Böse, für der anderen hingegen reichte auch dieses gespickte Bier nicht aus, der Mann blieb stehen, so lange, bis Urorn ihn dann doch hinterrücks niederschlug. Dank eines kritischen Treffers war das gar kein Problem. Und auch der andere Wachmann wurde mit einem wohlbemessenen Schlag schlafengeschickt. Jetzt kam auch Kerym’tal zur Hilfe, schleifte die Bewusstlosen in den Pferdestall, damit sie nicht zu auffällig im Weg lagen, und als dann auch Evy und Meraid nach erledigtem Nachtwerk aus der Gaststube kamen, konnten sie sich wirklich mit dem inzwischen angeschirrten Wagen und  den entfremdeten Pferden auf den Weg machen.

Den Weg nach Castow legten sie als Gewaltmarsch zurück. Nur nicht riskieren, dass die Wachen doch noch wieder aufholten! Aber so schafften sie es mit ihrem zurückgestohlenen Planwagen – die fremden Pferde wurden unterwegs, wie geplant, auf einer Weide ausgesetzt – bis nach Castow. Die mächtige Brückenstadt, gelegen am Zusammenschluss dreier Flüsse, war noch mal mehr als doppelt so groß wie Lastow und entrang allen bis auf Meraid, die dort schon oft gewesen war, große Augen. Und am Stadttor gab es dann gleich eine Überaschung. »Da seid Ihr ja!«, rief die Torwache, und damit meinte sie nicht den gestohlenen Wagen, nicht den in Lastow gesuchten Kerym’tal, sondern ausgerechnet Urorn, beziehungsweise dessen heiliges Symbol. Der wandernde Kleriker, wegen dem der Halbork sich überhaupt erst auf den Weg nach Castow gemacht hatte, war nicht nur noch in der Stadt – er hatte am Stadttor auch schon das Kommen eines zweiten Cayden Cailean-Klerikers angekündigt. Und angeordnet, dass der unverzüglich zu ihm gebracht werden sollte.

So sorgte Stadtwache Maren für eine Vertretung am Tor, um den frischeingetroffenen Kleriker zum Gasthaus zur Roten Wildsau zu bringen. Quer durch die auf Inseln gelegene Stadt ging es, über Brücken und mehr Brücken, hin zu dem größten Gasthaus, dass die Gefährten jemals gesehen hatten. Vier Stockwerke! Eine barrierefreie Bühne mit einer Treppe, die auch eine Gnomin bequem hochkommt! Während Evy und Urorn hineingingen, machten sich Meraid und Kerym’tal noch weiter auf den Weg durch die Stadt, um den Wagen an einem sicheren Ort abzustellen und sich nach einem fortgeschritteneren Zauberwirker umzuhören, der den Zauber vom Wagen nehmen konnte. Damit waren sie dann für den Rest der Sitzung beschäftigt. Aber für Urorn ging es gerade erst los.

Aerelm, der andere Kleriker, gekleidet in eine bildschöne bierfarbene Robe, hatte von der Ankunft eines besonderen Kollegen gehört – und das durch niemand Geringeres als den Gott persönlich. »Kann ich ihn mal sehen?«, fragte er gleich als allererstes und meinte damit das prachtvolle Rapier, das Urorn zusammen mit seinem heiligen Symbol in seinem Besitz gefunden hatte. Ein exquisites Schmuckstück! Warum der Halbork dann gleichzeitig noch den mächtigen zweihändigen Krummsäbel auf dem Rücken trug, konnte Aerelm nicht verstehen. Aber er stellte sich geduldig allen Fragen des Neuberufenen, nahm ihm ein bisschen die Angst vom Klerikersein, und forderte ihn auf, Abenteuer zu erleben und sich für die Freiheit starkzumachen.

Vom Nachbartisch wurde das Gespräch mit großen Ohren belauscht. Denn da saß, erschöpft von seiner langen Reise, der zwergische Magier Thorn Gomran, den sein archäologisches Interesse nach Castow verschlagen hatte. Auf der Suche nach der legendären sechsten Stadt von Orwin hoffte er, in den verschiedenen Gildenarchiven von Castow etwas herauszufinden. Für Thorn, der als Zwerg ein wenig aus der Art geschlagen war, stand das dritte große B, neben Bärten und Bier, nämlich nicht für Bergbau, sondern für Bücher. Aber Bier war auch nicht schlecht. Und gleich zwei Kleriker des von ihm verehrten Cayden Cailean auf einen Schlag zu treffen … Thorn erwog, sich dazu zu setzen, aber weil er alles gut mithören konnte, blieb er, wo er war. Und auch als Aerelm sich zurückgezogen hatte, befand Thorn, dass er selbst auch zu müde war, und ging lieber schlafen, als den Kontakt herzustellen.

Und so kam es, dass unseren Helden immer noch nichts davon ahnen, dass sie eigentlich zu fünft sind. Da soll sich beim nächsten Mal dann zusammenwachsen, was zusammengehört. Werden sie es schaffen, den Wagen zu entzaubern? Was für Pläne hat Derek geschmiedet, als er das Fehlen des Wagens bemerkt hat? Und wohin hat der Nasenmann den armen Rufus verschleppt? Fragen über Fragen – die alle noch ihrer Antwort harren. Bis – hoffentlich – nächste Woche!

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