Die neuen Pfadfinder treffen zusammen

Sachen gibt’s! Eben noch war der junge Halbork Urorn ein Akolut seiner orkischen Stammesgottheit, da wachte er nach einer durchsoffenen Nacht auf und fand sich als ausgewachsener Kleriker einer völlig anderen Gottheit wieder. Cayden Cailean, der freiheitsliebende Gott von Bier und Wein, hatte ihn offenbar auserwählt, aber so genau wusste Urorn das nicht, und oh, mein Schädel! Aber da half nichts, Kleriker ist Kleriker, er hatte dieses heilige Symbol, und Urorn nahm seine neue Berufung durchaus ernst. Nur, dass er jenseits von »Dieser Gott liebt wilde Besäufnisse« ziemlich wenig über seinen neuen Schutzpatron wusste … In dem Orkstamm, in dem Urorn aufgewachsen war, konnte man ihm da auch nicht groß weiterhelfen. So machte sich unser Neuberufener auf zu einer echten Queste: Herausfinden, was es mit Cayden Cailean alles auf sich hat und was ein Kleriker dieses Gottes zu tun hat. Und er verließ zum ersten Mal das Stammesland und machte sich auf den Weg in das, was die anderen Zivilisation nannten.

In Lastow, Stadt der Gnade, erwartete ihn schon mal ein kleiner Kulturschock. In dieser Stadt, mehr als in jeder anderen der Sechs Städte von Orwin, herrschten Anstand und Ordnung, verehrt wurde dort Abadar, Gott der Städte, und Urorn hatte Glück, dass ihn das heilige Symbol um seinen Hals als Kleriker auswies, so dass er doch recht zuvorkommend behandelt wurde – was ihn nicht vor argwöhnischen Blicken schützte, denen er als Halbork in der Menschenstadt ausgesetzt war. Dort gab es auch keinen Tempel, den man Cayden Cailean geweiht hätte, nur einen Sammelschrein für die Gottheiten, die in dieser Stadt nicht separat verehrt wurden, und wenn nicht ab und an mal ein Kleriker auf der Durchreise vorbei kam und einen Gottesdienst veranstaltete, wurde der Gott der Getränke hier überhaupt nicht verehrt.

Urorn hatte eine Idee: Ein großes Fest voller geistiger Getränke, mitten auf dem Marktplatz, das war das, was Cayden Cailean verdient hatte! Und schon machte er sich an die Organisation, buchte Bierfässer und mietete Bierzeltgarnituren, und er traf wirklich einen Nerv in der ausgedürsteten Stadt, wo man nicht immer nur rechtschaffend sein mochte, sondern auch mal einen draufmachen wollte. Mitten in die Planungen hinein wies ihn sein zuckendes Rapier in die Nähe des Westtors, wo man ihm auch tatsächlich weiterhelfen konnte: Da wusste man von einem Wanderkleriker des Cayden Cailean, der vor gut zwei Wochen von dort in Richtung der Brückenstadt Castow aufgebrochen war. Urorn beschloss, dem zu folgen – aber sein Gottesdienst musste vorher trotzdem sein. Und so stieg tatsächlich auf dem Markt eine große Sause, ein voller Erfolg, der Gott konnte zufrieden sein mit seinem Streber-Kleriker!

Am anderen Tag war man dann weniger gut zu sprechen auf Urorn. Das Fest hatte eine Menge Müll und Dreck gemacht, sowas ging gar nicht in einer ordentlichen Stadt wie Lastow, und angetrunkene Festbesucher hatten sich ungehörig in den umliegenden Tempeln aufgeführt, in den Abadon-Tempel gekotzt, und so machte Urorn lieber, das er wegkam, schließlich hatte er einen Wanderkleriker zu verfolgen. Er wusste nicht, dass sich am gleichen Tag noch jemand von Lastow aus auf den Weg machte: der Halbelf Kerym’tal hatte eigentlich nur einen reichen Kaufmann ausnehmen wollen, stand plötzlich mit dessen Leiche da und wurde von seinem Mentor vor die Tür gesetzt. Jetzt war auch er unterwegs nach Castow, um sich von dort auf den Weg ins Erhabene Königreich Fallonde zu machen, in der Hoffnung, dort von den Elfen endlich die Akzeptanz zu erfahren, die ihm unter Menschen nicht zuteilgeworden war. Aber vielleicht sollte er dann auch einfach keine Kaufleute umbringen …

Überhaupt fühlte sich alles wohl auf der Straße nach Castow. Die halbelfische Waldläuferin Meraid, die mit ihrem Freund und Mentor Rufus, einem etwas in die Jahre gekommenen Schmuggler, im Planwagen die Gegend unsicher machte, wurde Zeuge, wie Rufus von einem offenbar alten Bekannten, begleitet von nicht weniger als sechs Bewaffneten, festgenommen und abgeführt wurde, um, so die rätselhafte Erklärung, »eine angefangene Unterhaltung zu Ende zu führen«. Während der wehrlose Rufus per Pferd abtransportiert wurde, wurden die sechs Wachen abgestellt, den langsameren Wagen »zum üblichen Treffpunkt« nach Castow zu bringen. Und damit die nicht auf dumme Ideen kommen, wurde der Wagen prompt mit einem Zauber belegt.

Was für ein Zauber? Wenn Meraid das gewusst hätte! Sie war Waldläuferin, sie lernte erst in ein paar Leveln ihre erste Magie. Jetzt hatte sie noch keine Ahnung davon. Aber sie wusste, dass sie Rufus helfen wollte, ganz zu schweigen davon, dass auf dem Wagen ihre guten Werkzeuge lagen, und so machte sie sich, mal im Wald und mal auf dem Weg, zu Fuß an die Verfolgung. Ihr seltsames Bewegungsmuster blieb nicht unbemerkt: die gnomische Bardin Evy, unterwegs auf ihrem Reithund Anu, wurde auf Meraid aufmerksam und beschloss ihrerseits, ihr zu folgen. Und wo sie schon mal dabei war und als Bardin durchaus von der kommunikativen Sorte, sprach sie sie auch gleich an: »Sagt mal, verfolgt Ihr zufällig diesen Wagen?«. Und schon kamen die beiden, eine gute Voraussetzung für die anstehende Gruppenzusammenführung, ins Gespräch. Wenn auch mit Verständnisschwierigkeiten: Von Meraid, der das Prinzip von Reithunden neu war, auf ihr »Haustier« angesprochen, antwortete Evy mit Blick auf den Hund: »Das ist mein Pferd.« Aber unterm Strich schienen sich die beiden dann doch ganz gut zu verstehen.

Weil es nur im Schritttempo voranging, wurden sie bald überholt, erst von Kerym’tal auf seinem Pferd Iriador – ein Fuchs, also nein, kein Fuchs, sondern ein Pferd, das man einen Fuchs nennt -, der es eilig hatte, voranzukommen und der, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, nicht auffallen und nicht beachtet werden wollte, schließlich musste er damit rechnen, wegen Mordes gesucht zu werden – und dann vom ebenfalls zu Pferd reisenden Urorn auf Schlachtross Krut, der dann, anders als Kerym’tal, auch kein Problem damit hatte, auch noch die sechs amtlich aussehenden Wagenwachen zu überholen, und der damit als erster am Rasthof ankam, bevor nach und nach die anderen noch-nicht-Gefährten dort eintrafen.

So trudelte nach und nach alles am kreativ benannten Gasthaus Wegstation 3 ein. Erst also Urorn, der schon mal vorsorglich eine Ladenrunde spendierte und dafür sorgte, dass jeder Gast, der im Laufe des Abends dort eintraf, ein Bier in die Hand gedrückt bekam, dann der verfolgte Wagen mit seinen sechs Begleitern, von denen immer zweie draußen blieben, um den Karren zu bewachen, dann Kerym’tal, der das Bier in Empfang nahm und sich allein an einen Tisch mit Blick auf die Tür setzte, ohne auch nur seine Kapuze abzunehmen und der die Gelegenheit nutzte, das Gespräch zwischen dem Wirt und dem Hauptmann der Wagenwachen zu belauschen. Der Wirt kannte nämlich diesen Wagen nur zu gut und wusste, dass der eigentlich Rufus gehörte. Soso, ein Kopfgeld? Gibt es dazu einen Steckbrief? Der Hauptmann zeigte dem Wirt einen kleinen, von Kerym’tals Warte aus nicht zu erkennenden Gegenstand, etwas Kleines wechselte den Besitzer, und damit scheint der Wirt sich dann auch wohl zufrieden zu geben, denn das Gespräch endete bald.

Kurz darauf trafen dann auch Evy und Meraid ein. Denen fiel der Kapuzenfuzzi natürlich sofort auf – denn wirklich, es ist ungewöhnlich, in einem geschlossenen Gebäude zu sitzen und nicht mal die Kapuze abzunehmen – aber da Kerym’tal nicht wollte, dass ihn jemand wiedererkannte, waren ihm die Blicke der Leute egal. Dafür verstand er jetzt, dass es sich bei Meraid um eine Halbelfe handelt. Und wenn er sonst auch nicht der Sozialsten einer war – einer Schwester in Not musste geholfen werden. War die Schwester denn in Not? Nur eine Möglichkeit, das herauszufinden! Ein kurzer Blickkontakt, ein bisschen Zeichensprache, und schon verließ Meraid die Gaststätte, kurz darauf folgte ihr Kerym’tal, und draußen, an einem unbeachteten Ort, wurde die entscheidende Frage gestellt: »Schwester, brauchst du Hilfe?«

Zum Glück hatte Meraid kein Problem damit, von dem nicht verwandten und nicht verschwägerten Kerym’tal mit »Schwester« angesprochen zu werden. Und sie brauchte wirklich Hilfe. Schließlich war ihr Mentor verschleppt und der Wagen gekapert worden. Und sie wollte zumindest gern versuchen, an ihre wichtigen Werkzeuge dranzukommen. Kein Problem für den hilfreichen Kerym’tal! Wo eine Halbelfe in Not ist, wird nicht lang gefackelt. Schon schmiedeten die beiden einen Plan: Während die Bardin aufspielte und alle Augen auf sie gerichtet waren, wollte Kerym’tal die Wachen draußen am Wagen ablenken, so dass sich Meraid im Schutz der Nacht daran anschleichen und die Werkzeuge rausholen konnte. Gesagt, getan. Und weil es Freibiertag im Gasthaus Wegstation 3 war, hatte Kerym’tal auch gleich zwei Humpen organisiert, um sie den hoffentlich durstigen Wachen nach draußen zu bringen – »und dann vergiften wir sie!«, frohlockte Meraid. »Wir mischen ihnen ein Schlafmittel ins Bier!« Letzteres wurde dann doch verworfen, nicht, weil die beiden Skrupel gehbt hätten, aber weil kein Schlafmittel und auch kein anderes Gift da war. Aber zumindest das Ablenkungsmanöver, das sollte funktionieren.

Die beiden Wachen, die draußen im Nieselregen neben dem Wagen herumstehen müssen, freuten sich in der Tat über die freundliche Hopfengabe und tranken ein Prost auf Cayden Cailean, während sich, ebenfalls wie geplant, Meraid unbemerkt an den Wagen heranschlich. Der war abgeschirrt worden, das Pferd stand in den Stallungen, stehlen konnte sie ihn so nicht ohne weiteres – aber sie kam so immerhin an die Sachen dran, die dort verstaut waren. Als erstes machte sie sich an der Klappe nahe dem Kutschbock zu schaffen, von der sie wusste, dass die sich erst nach Rufus‘ Tod wird öffnen lassen, und ein Glück! Die Klappe blieb zu, Rufus musste noch am Leben sein! Auf zur nächsten Klappe, diesmal eine der Schmuggelluken. Sind dahinter die Werkzeuge versteckt? Egal. Erstmal aufmachen und nachsehen –

Drei missglückte Rettungswürfe später, einen gegen Reflex, einen gegen Zähigkeit und einen gegen Willenskraft, schrie Meraid vor Schmerzen laut auf. Etwas hatte ihren Arm getroffen, als sie die Klappe berührte, und oh, wie das wehtat! Ganz abgesehen davon, dass sie sich mit der Hälfte ihrer Trefferpunkte und empfindlichem Konstitutionsschaden wiederfand … Und auch wenn sie nicht laut genug geschrien hatte, um das Gasthaus zusammenzubrüllen: Den beiden Wachen und Kerym’tal war der Schrei nicht entgangen. Schon drehte sich der eine Wächter in Richtung des Schreis um – Kerym‘tal machte, sicher ist sicher, seine Kurzschwerter bereit … Da stieß Meraid, geistesgegenwärtig, einen Tierlaut aus und lief, leicht humpelnd, auf allen Vieren davon.

»Ah«, sagte die Wache. »Nur ein Tier!« Erleichtert pflichtete Kerym’tal den Männern bei, steckte seine Kurzschwerter wieder weg und sah zu, dass er sich verabschiedete und zum Gasthaus zurückging. Er hatte gerade erst einen Mann getötet. Es war besser, nicht eine deutliche Spur an toten Körpern zurückzulassen – abgesehen davon, dass er mit den beiden auch überhaupt erst mal hätte fertig werden müssen! Aber als kurz darauf auch Meraid wieder in der Gaststube eintraf, war alles in Ordnung. Kerym’tal ließ sich sogar dazu herab, sich zur Evy, Urorn und Meraid an den Tisch zu setzen – auch wenn er dann erstmal nur auf Elfisch mit Meraid redete, was die beiden anderen nicht verstehen konnten, aber er muss ja sicherstellen, dass es Meraid gut ging, ohne dass die restlichen Wachen am Nebentisch mithören können!

So ging dann alles friedlich schlafen: Urorn im »nur das Beste für einen Kleriker!« Einzelzimmer, Kerym’tal im Schlafsaal, Evy und Meraid beim Hund im Stall. Und am anderen Morgen? Ging es da dann zu viert weiter? Was für eine vermessene Vorstellung! Nur weil die vier dazu bestimmt waren, einmal als Gruppe zusammenzuarbeiten, hieß das nicht, dass sie das auch getan hätte! So hatte Meraid den beiden anderen noch gar nichts vom verschleppten Freund erzählt. Immerhin bot Kerym’tal ihr an, sie zu begleiten und zu ihr zu helfen, doch noch an Wagen und Rufus ranzukommen, spätestens in Castow. Meraid konnte ein Pferd mieten, damit sollten sie ein bisschen schneller vorankommen. Und auf der anderen Seite war Evy sehr interessiert an Urorns Queste und beschloss, ihn zu begleiten, bis der etwas über seinen Gott herausgefunden hatte.

Jetzt wird also immerhin in Zweiergrüppchen gereist, das ist schon mal eine Steigerung. Und wenn die vier einmal gemerkt haben, dass sie jetzt jeden Abend in dieser Konstellation in den gleichen Gasthöfen aufeinandertreffen werden, dann – ja, dann werden sie es hoffentlich unterwegs endlich schaffen, sich einander zumindest mal mit Namen vorzustellen. Dafür hat es bislang nämlich noch nicht gereicht.

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