Malakai der Mächtige

Einen Satz Teufelsblumenaugen hatten die Gefährten glorreich errungen, zwei weitere fehlten noch. Aber statt sich todesmutig in die nächste Schlacht zu stürzen, grüne Zombies zu bezwingen und hirnfressenden Pflanzen den Garaus zu machen, entschied sich die Gruppe erst einmal für eine Pause, und zwar gleich von mehreren Tagen. Kevron war damit gar nicht einverstanden, nicht nur, weil er sich in die Bequemlichkeit der Stadt zurücksehnte: Aber warum warten, bis die Barbarin ihren Verstand regeneriert hatte, wenn die den ohnehin nie brauchte oder benutzte? Das Herumsitzen auf dem kleinen Boot führte zu einer Art Open-Air-Hüttenkoller, und da half auch die Argumentation Karzas, sie wolle doch gerne ein bißchen durchhalten können, wenn die nächste Pflanze ihr Gehirn fressen wollte, wenig.

Die Stimmung auf dem Boot war mies, und als Torim am Ufer reptioide Fußspuren fand, wurde sie nur unwesentlich besser. Drei bekrallte Zehen eines vierbeinigen Geschöpfes, und aus der Schrittlänge errechnete Torim, daß ihr Besitzer doch einen guten Meter Schulterhöhe haben sollten – das versprach gar nicht gut zu werden. Zu oft hatten die Bewohner des letzten Dorfes den Schwarzen Drachen erwähnt, als daß man jetzt über die Spuren einfach hätte hinwegsehen können – mitten im Sumpf war der Drache den Gefährten in jedem Fall überlegen: Er konnte fliegen, schneller schwimmen als sich das Boot rudern ließ, Säure spucken und war, kurzgefaßt, niemand, dem sie so gern begegnen wollten. Vor allem, wenn seine Größe zu den Fußspuren paßte. Und dann brach es auch schon aus dem Unterholz: Ein Krokodil.

Fast hätten die Helden angefangen zu lachen. Dieses Tier war so weit entfernt von einem Meter Schulterhöhe, wie man das nur irgendwie sein konnte, aber es hatte immer noch einen furchteinflößenden Rachen mit ganz und gar beeindruckenden Zähnen, und hungrig sah es noch dazu aus. Es blieb also, was das Lachen anging, beim Fast. Aber noch bevor Karza oder Kevan ihre Waffe gegen das Untier erheben konnten, hatte sich Torim dazwischengeschoben. Er brauchte keine Waffe, blickte dem Tier nur in die Augen und grummelte etwas auf Krokodilisch – und das Wunder geschah: Daran erinnert, wer hier der Jäger war und wer der Gejagte, kniff das Krokodil buchstäblich den Schwanz ein und schwamm davon.

Aber die Angst vor dem Drachen war damit noch lang nicht ausgestanden. Kroko hin, Kroko her, es änderte nichts daran, daß es irgendwo in diesem Sumpf ein schwarzer Drache hauste, mutmaßlich in der Nähe eines Magierturms, und das seit mindestens dreißig Jahren, eher mehr. Vor allem Kevron, der sich auf jede Gelegenheit für paranoide Vorsicht stürzte wie die Fliegen auf das Aas, war gar nicht mehr zu beruhigen, und als ein dunkles Grollen zu vernehmen war, das nie und nimmer von einem Krokodil stammen konnte, warfen sich die Ruderer in die Riemen, als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her.

“Ich kann das versuchen, was Torim gerade gemacht hat”, schlug Kevron vor. “Mit Drachen kann man reden. Ich sag ihm auf Draconisch, daß wir keine Beute sind und daß wir ihm nichts tun, wenn er uns nichts tut.”
“So?” fragte eine dunkle Stimme auf Draconisch irgendwo hinter ihm. “Was tut ihr dann in meinem Sumpf?”
Kevron sank das Herz in die Hose, wieder einmal. “Wir sind nur auf der Durchreise”, beeilte er sich zu erklären. “Wir pflücken nur ein paar Blumen, dann sind wir wieder weg.”

Unter der Wasseroberfläche wurde ein Schatten sichtbar, ein gehörnter Kopf hob sich aus dem Wasser, und dann wurde der Drache in seiner ganzen Pracht sichtbar: Ganze fünfzig Zentimeter vom Kopf bis zum Schwanz. Trotz der glänzenden schwarzen Schuppen: Ein großer schwarzer Drache sah doch anders aus. Aber das schien diesen hier nicht zu stören. Munter setzte er sich auf Kevrons Schultern, um einen Blick in seine Karte zu erhaschen, und zeichnete ihm bereitwillig den Magierturm ein, an dem der große Schwarze zuletzt gesehen wurde und in dem nichts geringeres als ein untoter Nekromant sein Unwesen treiben sollte. Und auch sonst verhielt sich das kleine Geschöpf so ganz anders, als man es von einem gefürchteten Untier erwarten konnte.

“Könnt ihr schon fliegen?” fragte er, und während Kevron diese Frage eindeutig auf sich bezog, schließlich war er derjenige, der im Zweifelsfall den Flugzauber sprechen würde, war es eigentlich Sargas, den das Drächlein anblickte – aber ohne noch weiter darauf einzugehen, brachte er das Gespräch statt dessen auf fliegende Teppiche und forderte die Gefährten auf, ihn bald – nach Drachenmaßstäben – einmal mit einem solchen besuchen zu kommen und ihn auf einen Rundflug mitzunehmen. Und so munter ging es auch weiter: Sogar Hilfe bei der Jagd auf die Teufelspflanze bot der Drache an. Aber Kevron war ganz und gar nicht überzeugt. Er wußte genug über Drachen, um zu erkennen, daß dies vieles sein konnte, aber kein Schwarzer Drache: Denn einen zweiten würde es in diesem Sumpf niemals geben, und gerade ein Jungtier war noch nicht gescheit genug, um seine chaotisch-böse Natur zu verstellen. Ebensogut konnte dies ein getarnter Kupferdrache sein – oder gleich ein gestaltgewandelter Druide, der sie an der Nase herumführen wollte.

Die Idee mit dem Druiden gefiel dem kleinen Drachen ausgesprochen gut. “Ich bin ein großer Druide, ein mächtiger Druide”, erklärte er. “Ich bin der große Malakai”.
Und auch wenn ihm keiner so recht glauben wollte und Kevron selbst am allerwenigsten, hatten sie damit zumindest einen Namen, mit dem sie ihren neuen Reisegefährten ansprechen konnten, denn der machte wenig Anstalten, sie wieder zu verlassen, und bekannte freimütig, sie auch schon seit längerer Zeit beobachtet zu haben. Aber allem Mißtrauen zum Trotz – solange Malakai nützlich war, würde Torim einen Teufel tun und den Drachen töten, egal wie oft Kevron auch dazu aufrufen mochte, auf Zwergisch, einer Sprache, die dieses sonst so eloquente Tier offenbar nicht sprach. Wie war das noch gleich mit den Teufelspflanzen? Und schon lotste Malakai die Gruppe quer durch den Sumpf, zurück auf den irrtümlich verlassenen Hauptarm, und half Torim sogar, die optimale Schußposition zu finden. So gestärkt, starb die zweite Pflanze auch deutlich schneller als die erste und beließ es auch nur bei einem kleinen Happen aus Kevans Gehirn, statt gleich den ganzen Kopf zu nehmen.

Leider war der Sumpf damit ziemlich abgegrast, was die Teufelspflanze anging. Grüne Zombies? Fehlanzeige. Und dabei lief man auch noch in ständiger Gefahr, in den echten Schwarzen Drachen reinzurudern oder dem Schwarzmagier über den Weg zu laufen. Irgendwo sollte es noch ein drittes Exemplar geben – Malakai versprach Abhilfe. Nur ein bißchen warten, um alles weitere würde sich der Drache kümmern… Und so ging es wieder ans Warten. Sechs lange Tage ohne Abwechslung mitten im Sumpf – da erschien langsam auch ein Drachenkampf wie ein verlockendes Abenteuer, und der örtliche Verschwörungstheoretiker rechnete auch fest damit, daß Malakai die Zeit nur dafür nutzte, eine möglichst tödliche Falle vorzubereiten, wenn nicht nicht der Vertraute des Großen Schwarzen war oder gar zu dem Nekromanten gehörte. Mit untrüglichem Sinn für Gerechtigkeit sorgte Kevron so dafür, daß seinen Gefährten die Tage mindestens so lang wurden wie ihm selbst.

Endlich tauchte Malakai wieder auf und brachte ein Geschenk mit: Die etwas ramponierten und säureangefressenen Stielaugen einer Teufelspflanze. Eingehende Untersuchung des Bestands ergab, daß der vor gut zwei Wochen geerntete erste Satz mitlerweile nicht viel besser aussah, und damit hatte die Pflanzenjagd dann ein Ende: Es war in der Zeit, nach Zweiklippen zurückzureisen und die Augen an Torims Auftraggeber übergeben, solange noch etwas davon übrig war. Und erst Recht an der Zeit war es, Sumpf und Drache den Rücken zu kehren. Aber so leicht wird man einen Malakai nicht los. Er bestand auf einen weiteren Besuch – den Kevron ihm ja ohne weiteres versprochen hätte, allerdings ohne die Absicht, das jemals einzulösen – oder, noch besser, ein drächischer Gegenbesuch in Zweiklippen. Und nach Adresse und Kontaktmöglichkeit fragte er genau den richtigen: Wie üblich konnte Sargas nicht widerstehen, wenn es darum ging, vertrauliche Fragen zu beantworten. Und schon hatte Malakai alles, was sein Herz begehrte, und die Aussicht auf einen Aufenthalt in Torims Hütte noch dazu. Aber irgend eine Gegenleistung durfte er für seine Mithilfe wohl auch verlangen… Und so trennten sich die Wege von Helden und Drache – fürs erste, heißt das natürlich.

Wieder in der Stadt angekommen, trennten sich die Wege der Pfadfinder erst einmal. Während Kevron mit freudiger Erleichterung seinen nimmermüden Weinschlauch in Empfang nehmen konnte und sich dann in der Bibliothek der Magierakademie einigelte, um neue Zaubersprüche in sein Buch zu übertragen, brach Torim zu einem Besuch in der Heimat auf – begleitet von Kevan und Karza, die an der Völkerverständigung vielleicht weniger interessiert waren als an dem guten zwergischen Bier. Aber zumindest konnte die Halborkin sich, von mißtrauischen Blicken abgesehen, ohne Probleme zwischen den Zwergen bewegen, und wenn schon nicht Torims Eltern, so war doch einer seiner bergbaukundigen Brüder durchaus interessiert an dem großgewachsenen Besuch. Nur Torims Hoffnung, aus den explosiven Pollenkapseln der Teufelsblume könnte ein toller Aufsatz für seine Armbrust konstruiert werden, zerschlugen sich erst einmal: Die Techniker konnten ihm nur eine Apparatur anbieten, für die es nötig gewesen wäre, sich einen lebenden Gnom auf den Rücken zu schnüren. Torim verzichtete dankend.

In Zweiklippen befand derweil Kevron, daß er nicht drei Wochen am Stück lang Zauber abschreiben wollte, wenn man zugleich auch ein neues Abenteuer – die von Sargas aufgespürte alte Zwergenstadt – vorbereiten konnte. Doch seine Versuche, mit dem Halbelfen Kontakt aufzunehmen, scheiterten: Die Gilde ließ verlauten, daß Sargas sich krank gemeldet hätte. Kevron nahm dies mit einem Schulterzucken hin, ‘krank’ war am Ende auch nur ein anderes Wort für ‘verkatert’, und wandte sich doch wieder den Zauberbüchern zu – er ahnte nicht, daß Sargas in diesen Tagen tatsächlich mit einem heftigen Fieber kämpfte, das in ihm wütete und alles niederzubrennen drohte, das sich auch nur in seine Nähe begab. Und es dauerte eine gute Woche, bis Kevron die Ergebnisse dann mit eigenem Auge sehen konnte.

Erst einmal drehte es sich um ganz andere Dinge: Die Stadt Tiefensee mit ihren reichen Grabbeigaben und vor allem die Frage, wie man die den anderen, allen voran Torim, schmackhaft machen könnte. Denn daß der Zwerg nicht unbedingt begeistert sein würde über das Plündern eines alten Zwergenheiligtums, konnten sich die beiden an zwei Fingern abzählen. Aber Kevrons Bastelfreude übertraf seine Skrupel um Längen.
“Ich mach einfach ein paar Abschriften von den alten Unterlagen, und dann ersetz ich die Zwerge durch… Gnome? Duergar? Ach, wir machen da einfach einen verfeindeten Clan draus, dann wird ihm das nichts mehr ausmachen. Und wenn sich rausstellt, daß es ganz anders ist, was können wir dafür, daß unsere Unterlagen fehlerhaft sind?”
Sargas hatte nichts einzuwenden, schließlich mußte sich Torim nicht so anstellen – da waren alte Ruinen, die es zu erschließen, erforschen und entreichern gab, eine unwiderstehliche Herausforderung für jeden historisch interessierten Abenteurer von Welt.

Aber vor dem Abenteuer steht die Recherche, und vor der Recherche die Bibliothek.
“Kannst du mich da irgendwie reinschmuggeln?” fragte Sargas, und das war nun wirklich kein großer Freundschaftsdienst für Kevron: Schon einen Tag später erhielt Sargas seinen persönlichen Lese- und Nutzungsausweis für die Magierakademie, ausgestellt auf einen hübschen elfischen Namen, versehen mit einem täuschend echten arkanen Siegel, ein kleines Meisterwerk der Fälscherkunst. Aber als Sargas die Karte nicht nur mit Augen und Fingern begutachtete, sondern auch mit einem authentischen Magie Entdecken-Zauber, blieb Kevron doch erstmal die Sprache weg.
“Du verarschst mich!” In dem Moment war alles möglich: Sogar, daß Sargas von Anfang an zaubern konnte und es nur nie gezeigt hatte, und Kevron war bereit, seinem Gefährten alles zuzutrauen – aber er mußte nicht lange grübeln oder mit den Zähnen knirschen, Sargas’ wie üblich ausgeprägtes Mitteilungsbedürftnis machte sich schon daran, Kevron über die verschiedenen Details seiner Metamorphose aufklären.
„Das ist so über mich gekommen.

Und mit Sargas’ Erwachen als Hexenmeister war Kevron nun nicht mehr der einzige Zauberwirker der Gruppe. Trotz aller Animositäten, die zwischen Akademiker und Spontancaster herrschen mögen – Kevron meinte “Die Hexenmeister mögen Magie wirken, aber sie verstehen nichts davon”, eine schlechte Kaschierung von “Es ist ungerecht, daß ich erst das Testament meines Vaters fälschen und dann jahrelang studieren muß, und aus dir bricht das von einem Tag auf den anderen so raus” – bot der Magier an, das Zauberküken unter seine Fittiche zu nehmen. Schließlich kann alles mögliche passieren, wenn ein Sorcerer erwacht, noch dazu einer mit Drachenblut und einer Affinität zu Feuer. Da muß man schonmal mit Spontanentzündungen rechnen, und besonders eindringlich warnte Kevron den Halbelfen davor, beim Geschlechtsverkehr die Kontrolle zu verlieren – denn diese Klauen, die er nun temporär ausfahren kann, machen zwar eine Liebesnacht unvergeßlich, aber nicht auf die Weise, wie Sargas oder die Partnerin seiner Wahl sich das so vorstellen…

So kam es, daß Kevron als Babysitter eines gänzlich unakademischen Zauberers endete und mit einem unangenehmen Gefühl in der Magengegend, das nur zum Teil auf die drei Liter Wein, die sein neuerworbener Zauberschlauch jeden Tag aufs Neue generiert, zurückzuführen waren: Wenn es da noch einen zweiten Zauberwirker gibt, noch dazu einen mehr eindrucksvollen Feuerzaubern, die soviel mehr hermachen als seine unauffällige Hellsicht, warum sollte dann noch irgend jemand Kevron dabeihaben wollen? Aber er ließ sich nichts ansehen und machte gute Miene zum bösen Spiel – statt sich besser Gedanken darüber zu machen, daß die Fälschung einer ganzen Zwergenbinge im Freundeskreis vielleicht das größere Problem darstellen könnte. Wird Torim den Betrug durchschauen? Und wie wird er reagieren? Wir werden sehen. Wir werden sehen…

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