Die Blumen des Bösen

Der Tag begann mit Zugeständnissen, bezogen auf die Ereignisse des letzten Abenteuers: Die Wivvern-Fraktion erklärte, sich informiert zu haben und die korrekte Aussprache für den Wyvern wäre tatsächlich Weiwern – sehr zum Erstaunen der Weiwern-Fraktion, die gerade den anderen Recht geben wollte, daß die Aussprache selbstverständlich Wivvern wäre… Es waren also alle wieder so schlau wie zuvor, wie gut, daß das Viech immer noch tot war und es darum mit einem neuen Abenteuer weitergehen konnte: Der Reise in den Sumpf und der Jagd auf das gemeine Teufelskraut.

Jetzt sollte niemand unvorbereitet in ein Abenteuer gehen und in einen Sumpf erst recht nicht, und wie es sich für eine perfektionistisch ausgerichtete Gruppe gehörte, wurden auch hier die nötigen Vorkehrungen getroffen: Die einen investierten in Meisterarbeitswaffen, Mithrilkettenhemden und kniehohe Gummistiefel, die anderen wälzten dicke Bücher, und was die zutage brachten, war wahrlich beängstigend: Diese teuflische Pflanze zeichnete sich nämlich nicht nur durch ihre possierlichen Stielaugen aus, sondern dadurch, daß sie intelligente Wesen willenlos machte, ihre Gehirne fraß und die verbleibenden Körper dann zu ihren Zombies machte – teuflisch in der Tat und nichts, dem man so ohne weiteres in die Arme laufen wollte, und mancher wäre noch gern vom Auftrag zurückgetreten, wem nützte das schon außer Torim, sollte der sich diese Augenstiele doch allein besorgen – aber dann wieder wäre man kein Held gewesen, hätte man nicht die Bereitschaft besessen, der Gefahr ins Auge zu blicken. Und so hieß es dann: Einmal alles sumpfwärts.

Nun gibt es natürlich Sümpfe und Sümpfe. Dieser hier war ganz bequem zu durchqueren: Nämlich per Boot, wie die Gruppe in dem kleinen Ort, nennen wir ihn mal Sumpfingen, nicht nur erfahren, sondern auch gleich mieten konnte. Auch die Gefahren und Bewohner des Sumpfes waren schnell erklärt: Kleine Mücken, große Mücken. Kleine Fische, große Fische. Egel – hoffentlich nur kleine. Teufelsplanzen… ach ja, und ein schwarzer Drache, dort, wo der verlassene Turm dieses Magiers steht. Wo genau? Das weiß keiner so recht, aber mein Großvater hat den Drachen mal gesehen, dreißig Jahre muß das jetzt her sein… Wie groß der war? Mein Großvater? Ach, der Drache! Ja, der war ganz schön groß! – Die Gefährten beschlossen daraufhin, es erstmal bei der Jagd auf das Teufelskraut zu belassen. Wegen des Drachens kann man ja später immer nochmal wiederkommen, in dreißig Jahren oder so.

Auch wenn es Kevron nicht gelang, den Bootsbesitzer übers Ohr zu hauen – und sich mit seiner Erklärung »Denkt daran, die Leute hier draußen sind alle dumm, jeder, der nur halbwegs bei Verstand ist, zieht doch in die Stadt!« nicht nur Freunde machte, vor allem nicht bei der Barbarin – ging es nun zu Wasser weiter. Jeder, der auch nur durchschnittlich kräftig war, mußte die Ruderbank drücken, während Kevron die ehrenvolle Aufgabe des Steuermanns zukam, und sehr zu seinem Leidwesen war das eine Tätigkeit, bei der man weder dösen noch schlafen konnte, und das am frühen Morgen! Und was noch schlimmer war: Diese Positionen sollten sie auch für die nächsten Tage nicht mehr verlassen. Rudern, Essen, Schlafen, alles an Bord des kleinen Fischerbootes. Nur der offene Himmel verhinderte, daß sie alle einen Hüttenkoller bekamen, aber unbequem war es allemal. Und dann, zu allem Überfluß, kamen die Mücken. Die Großen.

Nicht weniger als sechs kaninchengroße Flattertiere, ausgehungert und blutgierig, kamen mit vernehmbaren Schwirren und Sirren angeflogen, bereit, sich auf Hälse und andere ungeschützte Körperteile zu stürzen. Aber für zwei von ihnen blieb es bei der Bereitschaft – selbst wenn man das Gefühl hat, daß Kevron nicht mehr als zwei verschiedene Zauber beherrscht, muß man doch zugeben, daß Colour Spray verdammt nützlich ist, vor allem am Anfang einer Abenteurerkarriere. Die beiden stürzten also gelähmt, blind und bewußtlos in den Fluß und waren nicht mehr gesehen. Zwei weitere Stirges wurden durch Torim und Sargas erschossen, bevor sie ihre Beute erreichen konnten, und daß die beiden letzten tatsächlich an das Blut von Karza und Kevan kommen konnten, ist unterm Strich eine ziemlich miese Erfolgsbilanz. Wie auch die Trefferquote der Nahkämpfer – daß man so oft danebenhauen kann, daran sollten sie sich in diesen Tagen leider noch gewöhnen, und es war mehr der Mithilfe ihrer Freunde zu verdanken als ihrem eigenen Geschick, daß sie am Ende doch nicht völlig ausgelutscht dastanden. Nur die vage Befürchtung, sie könnten sich eine Krankheit eingefangen haben, man weiß ja nie, in wessen Blut so eine Mücke vorher schon mal war, ließ sich nicht einräumen und stand am Schluß immer noch unbeantwortet im Raum.

Die Nacht brachte unheimliche Ereignisse. Kevan, der Wache hielt, hörte ein Heulen in der Dunkelheit – aber es kam nicht vom Ufer und nicht vom Fluß: Es kam aus dem Himmel. Schnell weckte er seine Kameraden, und die wollten erst gar nicht glauben, was er da gesehen haben wollte: Da flogen acht große ausgemergelte Hunde über den Himmel, der vorderste von ihnen mit einer Gestalt im Kettenhemd im Maul, die man noch als Menschen identifizieren konnte. Aber jeder der Gefährten, von der Barbarin bis zum Magier, war intelligent genug, um diese Gefahr als zu groß für sie zu identifizieren. Acht fliegende Hunde – nein, die sollten fliegen, wohin sie lustig waren, die Gruppe unten am Boden hielt still und wartete, bis das letzte Heulen verklungen war, und so kam es, daß sie am anderen Tag alle noch am Leben waren.

Statt dramatischer Kämpfe gab es dann erst einmal hochphilosophische Diskussionen: Kevron mochte es nicht auf sich sitzen lassen, von den anderen als Dieb bezeichnet zu werden – erstmal hatten sie dafür Sargas, und zum anderen war er selbst kein Dieb, sondern Magier. Sargas gab den Ball zurück: Ein Schurke ja, ein Dieb nein, das konnte man doch ruhig zu Kevron sagen… Kevron holte weit aus, mit Worten, versteht sich: Ein ehrbarer, verläßlicher Handwerker war er, einer, der seine Kunden nie übers Ohr hauen würde und immer genau das abliefern, wofür sie bezahlten, nichts daran auch nur im Geringsten illegal, schließlich wäre es ja nur verboten, eine Fälschung als Original auszugeben, und was seine Kunden mit dem fertigen Werk machten, läge ja nicht mehr in seiner Hand… Es darf bezweifelt werden, daß irgend jemand Kevrons Ausführungen Glauben schnenkte, am wenigsten er selbst – aber zumindest war er kein Dieb, und das kann man so stehen lassen.

Und weiter ging es mit unermüdlichen Rudern, die Augen immer am Ufer auf der Suche nach stieläugigen Pflanzen und grünlichen Zombies, bis endlich die erste mittelgroße Gestalt zwischen den Sträuchern entdeckt wurde, die dort offenkundig nicht hin gehörte. Während Torim versuchte, das grüne Geschöpf mit Bolzen zu spicken, kam jetzt Kevrons großer Einsatz. Denn wo die Teufelspflanze wächst, muß man damit rechnen, plötzlich nicht mehr Herr seiner selbst zu sein, und eh man sich versieht, hat man kein Hirn mehr im Kopf, ist grün und grunzt. Das einzige, was dagegen helfen kann, ist schiere Willenskraft. Kevron als Magier mochte darin nicht gerade schlecht sein, relativ gesehen, aber die anderen waren darin mehr oder weniger schlecht. Da greift man auf jede Hilfe zurück, auch auf einen Zauber, der diese Willenskraft nur um ein Itzeken erhöht. Auch wenn dieser Zauber nur ein Minute lang hält. Und so fing der kleine Magier an zu rotieren: Fünf Personen gilt es zu schützen, fünf Zauber dauern eine halbe Minute, dann eine halbe Minute Pause, und dann wieder von vorn, solange, bis die Gefahr vorüber ist – man darf mit Fug und Recht behaupten, daß Kevron in seinem ganzen Leben noch niemals so hart gearbeitet hatte, und so fleißig.

Der erste Zombie starb mit einem lauten Plop, und dann ergoß sich ein Haufen seltsamer Sporen in die Luft. So also geht das mit der feindlichen Übernahme! Die fünf Pflanzenjäger banden sich Tücher vors Gesicht, besser doppelt abgesichert als gar nicht, und dann ging es vorsichtig an Land weiter. Nur für Karza muß man das ‘vorsichtig’ streichen, die stürmte erst einmal vorwärts, mitten in eine Gruppe von vier Pflanzenzombies hinein, und wieder zurück, selbst eine stürmische Halborkin kennt manchmal ihre Grenzen. Doch als dann statt ihrer Sargas vorwärtsschlich, um sich den Ort anzusehen und vielleicht neben den Zombies auch die Mutterpflanze zu finden, waren die Zombies nur noch zu dritt. Ein ungutes Gefühl machte sich breit: Der Gegner ist der gefährlichste, von dem man nicht weiß, wo er ist. Dann machte es Plop, direkt neben Sargas – und man muß leider sagen, daß Kevrons Resistance-Zauber doch nicht ausreichte, um aus dem Schurken einen willensstarken Widerständler zu machen. Sargas war auf dem besten Weg, sein Hirn an eine Pflanze zu verfüttern.

Kevron stürmte vorwärts, vielleicht froh, endlich mal wieder etwas anderes zu zaubern als Resistance. Ein Halfelf, der blind, gelähmt und bewußtlos am Boden liegt, kann nicht gleichzeitig einer Teufelspflanze dienen, so die simple Logik – und so ging Sargas zu Boden, für die nächste Minute außer Gefecht gesetzt. Blieben vier Helden, um es mit einer unbestimmten Anzahl Zombies und einer teuflischen Pflanze aufzunehmen – und bald darauf nur noch drei, denn als nächste lief Karza dem Teufelskraut direkt in die Ranken. Da half auch kein Colour Spray mehr: Karza setzte ihre Prioritäten völlig falsch, versagte gegen die Sporen, nur um dann Kevrons Zauber mit Bravour zu trotzen. Sie ließ sich auch nicht an der Hand nehmen und in die Sicherheit führen – für sie gab es nur noch die Pflanze, und als sich deren Ranken direkt durch ihren Kopf bohrten, kam Karza zwar wieder zu sich, aber da war es dann zu spät.

Da konnte Kevron noch so laut Alarm schlagen, um seine Gefährten durch das Dickicht zu Karza zu rufen, er stand allein bei der Pflanze und der hilflosen Halborkin. Daß ausgerechnet ihn sein Zauber vor der Gedankenkontrolle schützte, war ein schwacher Trost, denn sein kläglicher Frostzauber zischte direkt an der Teufelspflanze vorbei, und als nächstes wurde er von einem der Zombies mit nur einem Schlag halbtot geschlagen. Da gab es nur noch eines: Rückzug. Sofort. Selbst wenn man das Flucht nennen sollte – Hauptsache, weg. Doch dann ging es ganz schnell: Kaum hatten Kevan und Torim endlich die Teufelspflanze gefunden, brauchte es nur einen kritischen Treffer mit der Armbrust und einen Schlag mit der Doppelklinge, und tot war der Feind. Während Karza aus den Ranken befreit wurde und Torim sich daran machte, die Augenstiele abzuschneiden, beschlossen die Gefährten, von nun an nur noch Pflanzen zu essen. Nicht aus Mitleid mit den Tieren, sondern aus Prinzip, und um die Welt vor der Grünen Gefahr zu schützen.

Was blieb am Ende des Tages? Ein schaler Erfolg, denn auch wenn eine der Pflanzen tot war, würden sie noch zwei weitere erledigen müssen, um Torims Auftrag auszuführen, und das war kein Kampf, auf den man sich freuen konnte. Eine Barbarin, die für die nächsten Tage auf dem geistigen Stand einer Sechsjährigen sein würde. Und die Hoffnung, daß beim nächsten Mal alles besser ablaufen würde, wenn sie alle die nächste Erfahrungsstufe erreicht hatten. Denn dann hatte nicht nur Kevron endlich die Zauber der Zweiten Stufe – sondern auch alle anderen einen weiteren Punkt Willenskraft. Nicht mehr lang hin. Nicht mehr lang…

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