Am anderen Morgen fand sich Thorn von einem üblen Ausschlag befallen. Schnell zog er den Zusammenhang mit den Goblins und dem vergeigten Rettungswurf, und er bat Urorn um priesterlichen Beistand. Urorn hatte zwar gerade kein Krankheiten Heilen im Angebot, aber zu Thorns Glück stellte sich heraus, dass jeder beliebige Heilzauber es genauso tut, und mit beliebigen Heilzauber konnte Urorn doch immer dienen. So war das juckende Ekzem bald Geschichte und Thorn erlöst. Das ging ja schnell!
Danach war es wieder Zeit für die Lieblingsbeschäftigung der Gruppe: Ausdiskutieren, was als nächstes passieren sollte. Zwei grobe Tendenzen standen zur Auswahl: die Hobgoblins auskundschaften und die Holzfäller befreien – oder nach Hause gehen. Beides hatte das eine oder andere für oder gegen sich: Die Hobgoblins waren mächtig und hatten die deutlich größeren Holzfällergruppe problemlos in ihre Gewalt gebracht, dazu wahrscheinlich auch die verschwunden Elfen, und überhaupt sagte die Aufgabe ja nur, herausfinden, was da passiert war: Nun, herausgefunden hatten sie es, Zeit, die Belohnung abzuholen. Auf der anderen Seite waren da unschuldige Gefangene, die Hilfe brauchten und denen vielleicht die Zeit davonlief. Nur, sollte das nicht vielleicht doch jemand erfahreneres machen?`
Letztlich siegte das Gute, zumindest ansatzweise. Der Konsens lautete nun: Die Hobgoblins ausspionieren, aber erstmal nicht reingehen, nicht erwischen lassen, denn wenn man erwischt wird … In einem seltenen Anflug von Vertraulichkeit bemerkte Kerym’tal, dass er nicht noch mal vier Jahre in Gefangenschaft verbringen wollte, aber wie üblich sprang von den Gefährten niemand darauf an, und Kerym’tal machte wieder dicht. Aber er bot Evy an, ihr Unterricht im Nahkampf zu geben, damit sie beim nächsten anstehenden Kampf nicht nur am Rand stehen und singen, sondern sich auch tatkräftig beteiligen konnte. Sollte es gegen die Hobgoblins hart auf hart kommen, wird schließlich jede Hand gebraucht! Etwas zögerlich nahm Evy das Angbot an.
Unterwegs in Richtung Hobgoblins hielten die Gefährten Ausschau nach den Wurzeln, die sie organisieren sollten, und fanden tatsächlich im Laufe des Tages immerhin vier Stück davon. Schon am Nachmittag begannen sie mit der Suche nach einem geeigneten Lagerplatz und wurden auch fündig. Sie stellten die üblichen Wachen auf und gingen schlafen. Als Kerym’tal mit dem Wachen an der Reihe war, hörte er ein Geräusch und ging nachsehen – und fand sich Auge in Auge mit einem fremden Elfen, der das Lager de Gefährten beobachtete. Und der sonst nie um einen zornigen Angriff verlegene Kerym’tal schlich sich hin – und sprach den Beobachter an. Der hatte sicher mit allem gerechnet, aber nicht damit. Aber wo man schon mal im Gespräch war …
Der fremde Elf fragte, wonach die Gruppe suchte – offenbar hatten sie in der Zwischenzeit die Grenze zum Erhabenen Königreich Fallonde passiert oder waren ihr zumindest hinreichend nahgekommen, dass die örtlichen Elfen einen Wachposten auf sie abgestellt hatten. Es war gut, dass ausgerechnet Kerym’tal die Wache hatte und nicht Meraid, denn was ihre Einstellung zu Elfen anging, hätten die beiden Halbelfen nicht unterschiedlicher sein können: Der unter Menschen aufgewachsene Barbar träumte von einem Leben unter Spitzohren und wäre am liebsten gleich nach Fallonde ausgewandert, während es bei der Waldläuferin genau umgekehrt aussah. Und die hätte den Fremden nicht ziemlich unverholen angeflirtet, wie Kerym’tal das tat, sondern wahrscheinlich aufgespießt.
So aber erzählte Kerym’tal alles, was es zu wissen gab: Von der Suche nach den Hobgoblins, die sowohl Menschen als auch, wahrscheinlich, Elfen verschleppt hatte, und auch, dass die Gefährten ein Besuchervisum für das Elfenland hatten, was mit einer hochgezogenen Augenbraue aufgenommen wurde. Nur, als der Elf dann fragte, ob er sich der Gruppe anschließen dürfe, musste Kerym’tal abwiegeln: So gern er offensichtlich mehr von dem gutaussehenden Neuzugang gesehen hätte, diese Entscheidung lag nicht bei ihm allein, und so musste er den Fremden auf den Morgen vertrösten. So verabschiedete sich der Elf auf ein späteres wiedersehen – aber offenbar war diese Trennung schon zu viel für Kerym’tal, oder seine Neugier geweckt, oder eine seltsame Art von Pflichtbewusstsein, alles über den Fremden herausfinden zu müssen, denn statt sich um die schlafenden Gefährten oder seine Nachtwache, die er ja eigentlich zu halten hatte, zu kümmern, machte er sich daran, den Elfen zu verfolgen.
Nur zehn Minuten, versicherte er, der keine Uhr dabei hatte, und schlich nahezu lautlos durch die Nacht, ohne auch nur einen Gedanken an Lager und Wache zu verschwenden. Erst, als er den Rauch eines Lagerfeuers roch, kehrte er um und zum Lager zurück. Da war inzwischen Meraid von selbst wachgeworden, zum Glück, und hatte, dieweil Kerym’tal nirgends aufzufinden war, die Wache übernommen. Kerym’tal hielt sich nicht lange mit Erklärungen auf – da die Gruppe ja jetzt offenbar in guten Händen war, konnte er nochmal aufbrechen, um mehr über den nächtlichen Gast in Erfahrung zu bringen.
Er fand ein verlassenes Lagerfeuer, niemand, weder Elf noch sonstjemand, war zu sehen. Nur in einer Astgabel eines nahen Baumes konnte er einen Beutel erspähen. Weil Kerym’tal nachts offenbar Entfernungen und Größen schlecht abschätzen konnte, dachte er, es mit einem kleinen Säckchen zu tun zu haben, und versuchte, es vom Baum zu schießen. Als das nicht klappte und Kerym’tal hochkletterte, um nachzuschauen, stellte sich das vermeintliche Täschchen als komplette Abenteurerausrüstung, mit Schlafsack und Wasserschlauch, heraus. Um nicht einen Abenteurer um sein Hab und Gut zu bringen, stieg Kerym’tal wieder vom Baum und kehrte zurück zum Lager, um zumindest ein bisschen Rest-Schlaf abzubekommen.
Am anderen Morgen erzählte Kerym’tal dann von seiner nächtlichen Begegnung. Mit was rechnete er? Einem großen Lob vielleicht? Tatsächlich hob Thorn die Weitsicht hervor, den elfischen Besucher nicht getötet zu haben, aber alle waren doch ziemlich verärgert, dass Kerym’tal einfach so seinen Posten verlassen hatte. Da das von dem angekündigten Wiedersehen mit dem Elfen noch keine Spur zu sehen war und die Gefährten nicht den ganzen Morgen über warten wollten, packten sie ihre Sachen zusammen und brachen auf.
Es begann zu nieseln, und der Wald fing an, zu riechen wie ein Badezusatz, als sich die Gruppe plötzlich beobachtet fühlte. Kerym’tal, der wie immer die Nachhut bildete, fuhr herum, und der Elf von letzter Nacht trat aus dem Gebüsch. Diesmal stellte der sich sogar mit Namen vor: Das war also Elandol. Weil Meraid davon abgehalten werden konnte, den Neuankömmling anzugreifen, lief das Gespräch dann auch ganz friedlich ab. Die Gefährten erzählten, dass Thalatel sie beauftragt hatte, die verschwundenen Elfen zu finden – und genau nach denen suchte auch Elandol. Der hat auch schon von der Ruine gehört, in der Holzfäller und Elfen wahrscheinlich gefangengehalten werden, aber er war selbst noch nie da und kannte auch die Geschichte des Ortes nicht. Aber wie um Kerym’tal eine Freude zu machen, fand sich in der Gruppe eine Mehrheit dafür, dass sich der Elf ihnen anschließen durfte.
Um sich gleich ein bisschen nützlich zu machen, bot Elandol an, den Gefährten eine Abkürzung zu zeigen, mitten durch den dunklen Sumpf – aber so vertrauensselig waren die dann doch nicht, um sich gleich von einem so-gut-wie-Fremden in den Sumpf schicken zu lassen, und überhaupt wuchsen dort keine Terinav-Wurzeln, und damit kam die Abkürzung nicht infrage. So viel zum thema »Den Gefangenen läuft die Zeit weg«: Die Gefährten entschieden sich für die landschaftlich reizvolle Strecke, quer durch den Wald.
Am Abend schlugen sie ein Lager auf. Elandol verabschiedete sich für ein, zwei Stündchen, um an einem elfischen Treffpunkt nach anderen Elfen zu schauen, die sie gegen die Hobgoblins verstärken könnten, aber diesmal folgte ihm niemand. Der wie immer historisch interessierte Thorn ging in sich, ob ihm noch etwas zu der Ruine einfiel, und sein belesener Verstand spuckte ein paar interessante Fakten aus: Das Königreich Orwin war einmal deutlich größer, und diese heute auf Elfenland gelegene Ruine konnte ebenso gut menschlichen Ursprungs sein. So genau wusste er es dann aber doch nicht. Derweil fand Meraid eine weitere der kostbaren Wurzeln – da hatte sich der Umweg ja schon mal gelohnt!
Nach ereignisloser Nacht ging es am anderen Tag weiter durch den Wald, und auch das gestaltete sich unauffällig. Gegen Abend schlug Elandol vor, ein Lager aufzuschlagen – die Gefährten plus Bonuself befanden sich nur noch eine gute Stunde von der Ruine entfernt. Das ging ja schnell! Und was für ein schöner Anlass für einen schönen, langen Cut!