Willkommen in der Gilde!

Auf einen Schlag fühlten sich unsere Gefährten gleich viel stärker. Der erste Levelanstieg ist doch immer eine besondere Sache, und selbst wenn die Gruppe auf Stufe Zwei gestartet war, ist der Sprung nach Stufe drei doch immer noch ein großer. Neue Talente für alle! Neue Zauberstufen für Magier und Kleriker! Und auch wenn das dem Plot vorgriff, standen auf allen Charakterblättern schon die neuen magischen Waffen, welche die Helden von nun an führen würden. Die größte Veränderung bedeutete das für Evy: Hatte sie zuletzt doch immer darunter gelitten, mit einem Dolch der Größenkategorie »Klein« buchstäblich nichts ausrichten zu können, denn ohne einen Stärkebonus ist ein W3 wirklich nicht viel – in Zukunft würde sie also mit einem Langschwert herumlaufen, und das macht auch bei kleinen Leuten immer noch einen ganzen W6 Schaden und damit nicht weniger als Kerym’tals Kurzschwerter.

Der wiederum war ein bisschen unglücklich, dass er nicht beide Waffen magisch veredeln konnte, und musste sich zwischen seinen Dorn und Zorn genannten Schwertern entscheiden, welches nun magisch sein sollte – so muss Zorn jetzt noch bis zum nächsten Levelanstieg oder einem plötzlichen Geldsegen warten. Nur der tendenziell pazifistisch eingestellte Urorn und Thorn, dessen Schwerpunkt nicht der bewaffnete Nahkampf ist, verzichteten erst einmal auf magische Waffen, um die so eingesparten Gelder für sie sinnvoller einzusetzen.

Aber erst einmal saßen die Gefährten, noch mit ihrer alten Ausrüstung, auf der Lichtung nahe des Bauernhofes, wo sie ihre Pferde gelassen hatten, und überlegten, wie sie am sinnvollsten nach Castow zurück kommen sollten, ohne den Truppen der Untertanns direkt in die Arme zu reiten. So fiel die Entscheidung, neben dem Weg zu reiten und auf die hereingebrochene Dämmerung zu setzen, um den Gegnern nicht zu sehr aufzufallen. Dass die an diesem Tag etwas unfocussierte Gruppe dabei mit fröhlichem »Schalalala« Bardenlieder schmetterte, muss eine reine Outtimeaktion gewesen sein, denn tatsächlich beachteten sie Gero von Untertann und seine Reiterei nicht weiter, als sie ihnen tatsächlich entgegenkamen. Und so erreichten sie Castow ungehindert.

Die Wirtin der Goldenen Gans staunte zwar ein bisschen, dass ihre Gäste so spät angepoltert kamen, aber dabei noch nüchtern waren, und legte sich wieder schlafen, was auch der Großteil der Gefährten tat. Nur Meraid machte sich daran, vor der Übergabe des Gefährts an Ilas Sudal, wie von Rufus vor seinem Ableben verfügt, die Wertsachen auszuräumen. Schweren Herzens verzichtete sie darauf, auch noch die Möbel auszuräumen – schließlich verfügte die Gruppe zwar über Pferde, aber, wie in diesem Moment sehr bedauert wurde, noch nicht über ein Lastenmammutt, und nein, die Regeln sahen auch nicht vor, dass so etwas käuflich zu erwerben wäre. So musste sich Meraid mit den einfacher tragbaren Gegenständen begnügen.

Aber im Geheimfach fand sie eine Tasche mit nützliche Zubehör und zwei Briefen – einem adressiert an Erian von der Gilde der Pfadfinder, einen anderen an sie selbst, in dem sie aufgefordert wurde, weiter an Erfahrung zuzulegen, um auf die Dauer Rufus‘ Quest nach der Zitadelle des Neuen Mondes weiterführen zu können. Wie viel Erfahrung da genau vonnöten sein sollte, ob der gute Rufus an ei Stufe Fünf-Abenteuer gedacht hatte oder eher an Stufe Fünfzehn, das erklärte der Brief nicht; der gute Rufus hatte das Challenge Level mit in sein Grab genommen, und wir können nur hoffen, dass sich Meraid, wenn sie einmal stark genug ist dafür, sich noch an diesen Brief erinnert wird. Aber sie steckte ihn ein, um keinem etwas davon zu erzählen, was ja auch ihr gutes Recht als Empfängerin war.

Am anderen Morgen fragten sich die Gefährten zur Gilde der Pfadfinder durch, wo sie ihr von Rufus erhaltenes Empfehlungsschreiben abgeben wollten. Die Wirtin der Goldenen Gans wusste immerhin, dass die sich im Karawansereiviertel befinden sollte – was sich gut traf, denn dort lag auch der Magiebedarfsladen »Das Purpurne Pendel«, über den Thorn Ilas Sudal wegen des Wagens kontaktieren sollte. So machte sich die Gruppe auf den Weg, und weil sie an diesem Tag wirklich nicht bei der Sache waren, sangen sie weitere Bardenlieder über Karawanen, die weiterziehen, und durstige Sultane – aber immerhin, sie kamen an, mieteten für den Wagen einen Parkplatz, an dem der gegnerische Magier ihn sich abholen konnte, und hinterlegten die Anleitung, wie die Geheimklappen funktionieren, für ihm im »Pendel«.

Die junge Elfe, die dort den Laden schmiss, hätte gerne noch ein wenig magisches Zubehör verkauft, und das Interesse daran war durchaus vorhanden – was jedoch fehlte, war das Geld, und so war alles, was die Gruppe aus dem »Pendel« mitnahm, eine detaillierte Wegbeschreibung zur Gilde der Pfadfinder und die Diskussion, ob der Name »Purpurnes Pendel« nun nach einem Fachmarkt für Erotika klang oder nicht. Dann machten sie sich auf den Weg, während die Pendel-Elfe Ilas Sudal die Nachricht schickte, dass da ein Brief für ihn zur Abholung lag. Und, wo sie gerade dabei war, verwies die Elfe auch noch auf einen Auftrag, den sie der Pfadfindergilde übergeben hatte und der immer noch nicht erledigt war.

Mit der Wegbeschreibung war die Gilde der Pfadfinder dann auch schnell gefunden, in den Räumlichkeiten über einem Wagnerbetrieb und erkennbar an ihrem Wappen, einer Schreibfeder über einer Landkarte. Innen warteten gemütliche Sitzgelegenheiten, eine Theke, und verschiedene mutmaßliche Pfadfinder, die in ihre Gespräche vertieft waren und den Neuankömmlingen wenig Aufmerksamkeit gönnten – bis auf den Mann hinter der Theke, der die Gruppe freundlich begrüßte. Erian, so erfuhren sie, war gerade nicht anwesend, aber sie durften gerne Platz nehmen und warten. Kurz darauf erschien auch schon ein Gnom – nicht Erian, dafür der Überbringer eines Tabletts mit Erfrischungen, die gern angenommen wurden.

Gute zehn Minuten später tauchte dann ein sichtbar alter Menschenmann auf, mit zwei verschiedenfarbenen Augen, weißem Haupthaar über grauem Bart, gekleidet wie ein wohlhabener Händler, aber mit einem Langschwert an seiner Seite: Erian. Urorn übergab ihm das Empfehlungsschreiben, das sie von Rufus erhalten hatten, Meraid den Brief, den sie im Wagen gefunden hatten, und Erian las sie, nicht ohne die Augenbrauen zu heben. War das wirklich ein Empfehlungsschreiben? Hätten die Gefährten mal hineingespinxt, hätten sie gesehen, dass Rufus seine Empfehlung nicht ohne grundsätzliche Kritik formuliert hatte: Er nannte die Gruppe »unkoordiniert«, ein Diss, der besonders Kerym’tal auf die Palme brachte – schließlich hatten sie Rufus das Leben gerettet, und dann sollte der sich gefälligst nicht beschweren!

Als Erian ihn dann auf seinen mürrischen Gesichtsausdruck ansprach und Kerym’tal nur antworten konnte, dass er immer so aussähe, stand einen Augenblick lang dicke Luft im Raum – aber dann gab es von Erian doch nur eine Einführung in die Ausrichtung und Aufgaben der Pfadfindergilde, die sich zum Ziel gemacht hatte, die unbekannten Gebiete zu erschließen und weiße Flecken von der Landkarte zu tilgen. Dabei konnten die Mitglieder Aufträge erledigen, die sie am praktischen schwarzen Brett finden konnten. In allen Städten, zumindest den größeren, hatte die Pfadfindergilde von einem Fahrenskapitän geleitete Dependancen, Gildenhaus genannt, wo die Mitglieder übernachten konnten, neue Aufträge annehmen und das unterwegs gesammelte Kartenmaterial übergeben, eine Aufgabe, die insbesondere Thorn zu reizen schien.

Kerym’tal, misstrauisch wie immer, fragte Erian nach dem Pferdefuß – was passierte wirklich mit denen, die sich der Gilde verschrieben? Das klang ja alles irgendwie zu gut, um wahr zu sein … Aber Erian versichert, dass es keinen Pferdefuß gäbe: Die Pfadfindergilde ging nicht hausieren, um an neue Mitglieder zu kommen, man braucht schon ein Empfehlungsschreiben, und normalerweise sind die Rekruten erfahrener, besser ausgerüstet – und koorinierter. Kerym’tal schien nicht ganz überzeugt, aber die Aussicht, Abenteuer zu erleben, an Erfahrung zu gewinnen und stärker zu werden, tat dann ihr übrigstes – und die Aussicht, über die Gilde an die ersehnte (und bereits auf dem Charakterbogen verzeichnete) magische Ausrüstung zu bekommen.

Da es in der Gegend der Sechs Städte von Orwin viele unbekannte Ecken gab – mal ganz abgesehen von der Frage, wo die sechste Stadt sein sollte, befanden sich doch nur fünf Städte in diesem Gebiet – hatte die Gilde der Pfadfinder hier noch viel zu tun, und das Schwarze Brett, erkennbar an seinem großen gelben Ausrufezeichen, bot eine Menge Aufträge der verschiedensten Schwierigkeitsstufen. Auch der Auftrag des Purpurnen Pendels war da – ein Gesuch für pflanzliche Ingredienzen. Kerym’tal blockte gleich ab: Er wollte Abenteuer erleben, keine Blumen pflücken! Vielleicht interessanter: Eine Karawane in Richtung der Elfenlande begleiten. Noch interessanter: Seltsame Vorfälle untersuchen, die dem Elf Terlatel, seines Zeichens selbst Pfadfinder, untergekommen waren.

In Richtung des Erhabenen Königsreichs Fallonde waren Menschen aus einem Holzfällerlager verschwunden, und wer gerade sowieso in der Gegend ist, zum Beispiel, um dort Pflanzen zu sammeln, konnte sich da ja einmal umschauen … Kerym’tal wurde hellhöriger – schließlich waren die Elfenlande, was er noch nie einem seiner Gefährten erzählt hatte, sein Ziel. Und in diesem Holzfällerlager sollte sich auch ein Elfischer Gesandter treffen, der ihnen die Genehmigung ausstellen konnte, Fallonde überhaupt erst einmal zu betreten – sie waren da sehr eigen, diese Elfen, und Fremden gegenüber nicht so entsetzlich aufgeschlossen.

Ach ja, und in entgegengesetzter Richtung gab es auch einen Auftrag: Da suchte ein gewisser Untertann erfahrene Begleitung für eine Expedition. Mit Betonung auf Erfahrung, was, das stellte Erian unmissverständlich klar, nicht Stufe Drei bedeutete. Und so sehr die Gefährten sich auch dafür interessierten, was der Untertann da im Schilde führte – Rufus hatte sie gewarnt, dass der Mann eine Nummer zu groß für sie war, Erian blies ins gleiche Horn, und Kerym’tal wollte zu den Elfen –  das sprach alles für die Tour Richtung Fallonde.

Blieb noch eine Frage: Wie sah es aus mit der Bezahlung? Die Eskorte, so stellte sich heraus, war nicht entsetzlich gut bezahlt, aber wenn man sowieso in die Gegend wollte, konnte man zumindest ein bisschen Geld für die Reise mitnehmen. Für Informationen zu den verschwundenen Holzfällern gab es magere 25 Goldstücke pro Kopf – kein Wunder, dass Terlatel sich nicht persönlich darum hatte kümmern mögen. Aber die zu sammelnden Pflanzen waren eine lukrative Sache: Nicht weniger als 200 Gold sollte es für jede fachgerecht gepflückte und transportierte Terniav-Wurzel geben. 200 Gold! Spontan beschloss Kerym’tal, der beste Blumenpflücker diesseits der Elfenlande zu werden.

Aber bevor er die Gruppe jetzt einfach so ziehen ließ, stellte Erian jedem die Gretchenfrage: Wie sieht es denn aus mit der Motivation? Und die Antworten, die er bekam, waren so vielfältig wie die Gefährten selbst. Kerym’tal erklärte, stärker werden zu wollen, um Rache an einem noch nicht näher benannten Feind zu nehmen. Thorn ging es darum, untergegangene Städte zu finden. Meraid wollte ihre Fähigkeiten verbessern und dabei Abenteuer erleben, Evy unterwegs neue Lieder finden, und Urorn helfen, wo seine Hilfe gebraucht wurde. Aber Abenteuer, mit der Aussicht bekam man sie doch alle unter einen Hut.

Und weil er selbst nicht überzeugt war von der Koordination der Gruppe, gab Erian den Gefährten noch einen Auftrag: Sich zusammensetzen und mal grundsätzliche Dinge besprechen, wie Strategie und Anführer, denn bis jetzt hatten die fünf zwar schon einige Tage miteinander verbracht, ohne jemals richtig ins Gespräch zu kommen. So setzten sie sich, mit neuen Erfrischungen, in ein abschiedenes Nebenzimmer und machten sich endlich miteinander bekannt, erzählten einander, was sie konnten (und was nicht) und was ihre persönlichen Ziele sind, und tauten dabei ein bisschen auf.

Schnell stellte sich heraus, dass jeder in der Gruppe etwas nützliches Beisteuern konnte, die einen in der Stadt besser aufgestellt waren, die anderen auf dem Land, und es sowas wie den einen Anführer für sie nicht gab – Meraid war sicher die beste, um sie durch unwegsames Gebiet zu bringen und die Federführung bei der Suche nach den gutbezahlten Pflanzen zu übernehmen, während Urorn durch sein Aufwachsen in einem durchaus kriegerischen Orkstamm noch das meiste über Kampfstrategien wusste, während Kerym’tal, immerhin der beste Kämpfer der Gruppe, angab, von so etwas keine Ahung zu haben.

Er könne nicht viel außer töten, sagte er, und erschütterte seine Gefährten mit der Feststellung, dass, wenn man einmal angefangen hat, Menschen zu töten, es auf ein Tier mehr oder weniger auch nicht ankommt – und ließ sich dann noch etwas tiefer in die sonst immer gutbehüteten Karten blicken, als er einräumte, in Lastow wegen eines so nicht beabsichtigten Mordes gesucht zu werden. Als er dann auch noch erzählte, dass man ihm einmal die Arme so oft gebrochen hatte, dass er nicht mehr in der Lage war, auch nur einen Dolch zu halten, begriff er wohl, dass er dabei war, zu viel preiszugeben, und machte wieder dicht, bevor er seine ganze tragische Hintergrundgeschichte ausbreiten konnte.

Und auch die anderen hatten erst einmal genug geredet und gehört, denn es war wieder an der Zeit, die Zelte abzubrechen – aber eine wahre Erkenntnis nahmen sie alle mit: Dass sie alle mehr miteinander reden mussten, um ihre wahren Synergien zu entfalten und ihre Kompetenzen gewinnbringend zu nutzen. So endete ihr erstes Teambuilding-Seminar. So enden aber noch lange nicht ihre Abenteuer – denn die fangen gerade erst an. Bis zum nächsten Mal!

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